seit Abschluss des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine vor einem Jahr drohte Wladimir Putin immer wieder damit, es auslaufen zu lassen. Nun ist es wirklich so weit: Nach ersten Berichten über Explosionen an der Krim-Brücke kündigte Moskau das Abkommen am Montagmorgen auf – ohne die Vorfälle am Übergang über die Meerenge von Kertsch zu erwähnen. Dafür drohte Putin am Abend Vergeltung für den Angriff auf die Brücke an. In den News erfahren Sie, warum die Aufkündigung mit den Explosionen zusammenhängen dürfte.
“Putins System zerfällt”, sagt die russische Politologin Jekaterina Schulmann, die am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin forscht, im Gespräch mit Viktor Funk. Der russische Machthaber könne die Wahlen 2024 zwar noch gewinnen, für erfolgreiche Politik bräuchte er aber internationale Partner, die ihn anerkennen. Neben Belarus und Syrien blieben da nicht mehr viele.
Einer der wenigen ist Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina. Mit seinen Angriffen auf Institutionen des Gesamtstaates und den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, verstärkt Dodik die Sezessionsängste in Sarajevo und Brüssel. Alexander Rothert analysiert die Bedrohungslage für die EU-Militärmission EUFOR Althea.
Im Kaukasus ist die EU mit einer zivilen Beobachtermission präsent – die EUMA stärken sollte die Bundesregierung in Berlin, um den Friedensprozess zwischen Armenien und Aserbaidschan wieder in Gang zu bringen, fordert Tobias Pietz vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze in seinem Standpunkt. Anders als Frankreich werde Deutschland dort als neutral wahrgenommen.
Ihr Gabriel Bub
Analyse
Bosnien-Herzegowina: Erhöhte Bedrohungslage für Diplomaten und EUFOR-Soldaten
Hand in Hand für die serbische Sache: Der Präsident der bosnisch-serbischen Republika Srpska, Milorad Dodik, und Russlands Präsident Wladimir Putin im Mai in Moskau.
Die Politik des Präsidenten des serbisch dominierten Landesteils Bosnien-Herzegowinas, Milorad Dodik, sorgt weiter für Instabilität – und könnte auch die seit Kriegsende 1995 in dem Land präsenten internationalen Truppen gefährden. Aus Sorge um den Zusammenhalt des in zwei sogenannte Entitäten geteilten Dreimillioneneinwohnerlandes hatten die EU-Außenminister im Februar 2022 eine Aufstockung der EU-Stabilisierungsmission EUFOR Althea auf 1.100 Soldaten und damit auf nahezu das Doppelte beschlossen – sowie die Verstärkung der Einheiten mit Schützenpanzern.
Auch wegen Dodiks nationalistischer Politik als Präsident der Republika Srpska (RS) hatte der Bundestag im Sommer 2022 nach zehn Jahren Abstinenz beschlossen, die Bundeswehr wieder an dem EU-Einsatz in Bosnien zu beteiligen. Dort unterstützt die Nato im Rahmen ihrer “Berlin-Plus-Vereinbarung” die EU-Kräfte mit Strukturen und Fähigkeiten, obwohl die westliche Militärallianz als Ganzes selbst nicht in Bosnien engagiert ist. Im Juni verlängerte der Bundestag das EUFOR-Mandat um ein weiteres Jahr bis Ende Juni 2024.
Wie ihre EU-Verbündeten schätzt die Bundesregierung die Sicherheitslage in dem Drei-Millionen-Einwohnerland auf dem Westbalkan zurzeit als “kontrollierbar” ein, die Bedrohungslage hingegen als “hoch”. Das geht aus der regulären Unterrichtung des Verteidigungsministeriums in Berlin an die Bundestagsabgeordneten hervor.
Nils Schmid: Vučić ist der eigentliche “Bad Guy” auf dem Balkan
Die Sarajevo Times berichtete Anfang Juli, dass die EUFOR-Führung “gegenwärtig keine Notwendigkeit” für eine Truppenaufstockung sehe, aber “politische Spannungen” beobachte, die die Sicherheitssituation beeinflussen könnten. “Wenn notwendig, kann der EUFOR-Kommandeur Reservekräfte aktivieren”, heißt es aus der Pressestelle der derzeit vom französischen Generalleutnant Hubert Cottereau geführten Mission.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, spricht sich gegenüber Table.Media gegen eine abermalige Aufstockung des EUFOR-Kontingents aus: “Eine Stärkung Bosniens muss vor allem politisch erfolgen – nicht über eine weitere Aufstockung von Soldaten vor Ort.” Die Bundesregierung beobachte “das Gebaren von Dodik mit großer politischer Sorge – ebenso wie das seines Verbündeten, Serbiens Präsident Vučić, dem eigentlichen Bad Guy auf dem westlichen Balkan”, so Schmid.
US-Regierung warnt vor Sezession der Republika Srpska
Dodiks jüngste Angriffe auf Institutionen des bosnischen Gesamtstaats und den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, zählen zu den gravierendsten seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995. So entschied das bosnisch-serbische Parlament in Banja Luka Anfang Juli, künftig Gesetze zu verabschieden, mit denen Urteile des gesamtstaatlichen Verfassungsgerichts ausgehebelt und eigentlich bindende Entscheidungen des Hohen Repräsentanten für null und nichtig erklärt werden können.
Der oberste Vertreter der Dayton-Garantiemächte – der seit August 2021 amtierende deutsche CSU-Politiker Schmidt – reagierte darauf vergangene Woche mit einem Dekret zur Erweiterung des Strafgesetzbuches, das strafrechtliche Konsequenzen für Amtsträger vorsieht, die Dodiks Gesetze befolgen und Entscheidungen missachten. Bis zu fünf Jahre Haft drohen künftig für Handlungen, die die verfassungsgemäße Ordnung des Gesamtstaats gefährden.
Der österreichische Völkerrechtler Josef Marko warnte in der österreichischen Tageszeitung Standard, dass Dodiks Vorgehen “der allerletzte Schritt vor der Sezessionserklärung” sei. US-Außenminister Antony Blinken verurteilte Dodik vergangene Woche scharf; der US-Balkan-Gesandte Gabriel Escobar kommentierte, dass die gegenwärtige Situation ähnlich “verstörend” sei wie kurz vor Kriegsbeginn 1992.
Militarisierung der bosnisch-serbischen Polizei
Dodik forciert seit Jahren eine Militarisierung der bosnisch-serbischen Polizei. Zwischen 2015 und 2017 wurden die RS-Haushaltsmittel für den Erwerb von Kriegswaffen verdreifacht. 2018 bestätigte er die Anschaffung von 2.500 Sturmgewehren, zu einem Zeitpunkt, als die RS-Polizei bereits über 4.000 solcher Gewehre und Hunderte Maschinenpistolen verfügte, zumeist aus Serbien, Brasilien und Belgien. Die Stärke der bosnisch-serbischen Polizei beläuft sich laut dem Innenministerium in Banja Luka auf 5.200 Kräfte.
Die Lage könnte durch die Stationierung von EUFOR-Verbänden im Brčko-Distrikt beruhigt werden, heißt es in sicherheitspolitischen Kreisen in Brüssel. Brčko ist Dodiks Achillesferse, denn der Distrikt teilt die Republika Srpska in einen Ost- und Westteil. Die Aussage des US-Balkan-Gesandten Escobar, er wisse nichts von einer Verlegung von EUFOR-Einheiten nach Brčko, lässt den Schluss zu, dass die EU noch keine Entscheidung gefällt hat.
Schleichende Sezession statt Big Bang
Ein Scheitern des Gesamtstaats könnte auch ohne “Big Bang” erfolgen, sozusagen schleichend. Dodiks jahrelange Unterminierung der Staatsinstitutionen und der Aufbau paralleler Strukturen sind Indikatoren dafür. Sobald seine paramilitärischen Verbände stark genug erscheinen, um die faktischen Grenzübergänge zwischen dem muslimisch-kroatischen und dem serbischen Teil des Landes, die sogenannten administrativen Entitätsübergänge (IEBL, Inter-Entity Boundary Line), polizeilich abzuschirmen, könnte er eine Eskalation provozieren.
Dodik hat dies auf lokaler Ebene im Januar während der verfassungsfeindlichen Paramilitärparade zum 31. Gründungstag der RS bereits durchexerziert, als er die IEBL-Übergänge von der Polizei überwachen ließ, was einen Bruch der Dayton-Bestimmungen bedeutete. Der bosniakische Vertreter im Staatspräsidium, Denis Bećirović, warnte Anfang Juli, dass im Falle einer Sezessionein “Plan B” vorläge, um die verfassungsmäßige Ordnung Bosniens zu bewahren. Von Alexander Rhotert mit mrb
Bundeswehr
EU
Geopolitik
Nato
Russland
Russische Politologin Schulmann über Putin: “Das System zerfällt”
Jekaterina Schulmann verließ Russland im April 2022 und forscht heute am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin.
Frau Schulman, vor kurzem baten Sie bei Politikern in Brüssel, eine Ansprechstelle für Russinnen und Russen einzurichten, die in der EU im Exil leben. Sie rechnen also nicht damit, bald nach Russland zurückkehren zu können?
Es sind immer individuelle Abwägungen, ob jemand zurückkehren will und kann. In Brüssel wies ich darauf hin, dass solch eine Stelle nötig ist, weil Hunderttausende Menschen aus Russland in der EU leben, die offiziell von der russischen Seite als Verräter gebrandmarkt werden. Das heißt, dass sie von staatlichen Dienstleistungen Russlands ausgeschlossen sind, russische Vertretungen schützen sie nicht, und es kann sogar gefährlich für sie sein, den Service der Vertretungen in Anspruch zu nehmen. Und die Zahl dieser Exilanten wächst. Im Moment ist es unklar, wann und ob überhaupt diese Menschen zurückkehren können. Deswegen wäre es gut, wenn sich jemand um deren Belange kümmert.
Für wie stabil halten Sie denn das System Putin, gerade vor dem Hintergrund des versuchten Putsches des Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin im Juni?
Was den Putschversuch betrifft: Entgegen der üblichen Praxis bei gescheiterten Militäraufständen wurde dieser Putsch nicht niedergeschlagen oder zerschlagen, sondern es wurde mit den Verantwortlichen verhandelt. Offensichtlich gibt es einen Deal mit Prigoschin. Wir wissen nicht, wie er aussieht, und je mehr Zeit vergeht, desto undurchsichtiger wird alles. Wir sehen aber, dass das System wieder Loyalität kauft. Der Nationalgarde (Rosgwardija) werden nicht nur Panzer und andere schwere Waffen versprochen, sondern ab Oktober erhalten sämtliche Bedienstete in allen Strafverfolgungs- und Sicherheitsorganen auch 10,5 Prozent mehr Gehalt. Bisher setzt das System also auf Zuckerbrot und nicht auf Peitsche.
Was ist mit den Militärs, die angeblich verhört wurden und nicht mehr aufgetaucht sind?
Abgesehen von den vagen Gerüchten über den Rücktritt dieses oder jenes Generals gab es keine Anzeichen für größere personelle Veränderungen im Machtsystem. Niemand wurde öffentlich zur Rechenschaft gezogen, weder für die Meuterei selbst noch für das Versäumnis, sie zu verhindern und zu beenden.
Wie deuten Sie das?
Nun, die Stabilität eines Systems zeichnet sich dadurch aus, dass es in der Lage ist, den Status quo zu erhalten, ohne das übliche Maß an Gewalt zu überschreiten. Wenn man aber deutlich mehr Aufwand betreiben muss, um Unzufriedenheiten zu unterdrücken, dann ist das ein Zeichen von Destabilisierung. Sie kann mit mehr Repression einhergehen, wenn sich die Macht in den inneren Strukturen verschiebt, zum Beispiel mehr zu den Repressionsbehörden. Das wirkt sich dann auf die gesamte Struktur aus. Damit steigt auch die Abhängigkeit des Staates von diesen Repressionsbehörden: Das System muss dann möglicherweise eine noch mächtigere Behörde aufbauen, wie den Geheimdienst NKWD unter Stalin oder die SS in der Nazizeit. Andererseits könnte sich das politische System gerade jetzt zu bedroht fühlen, um eine große Repressionskampagne zu starten. Die erwähnten Rücktritte von Generälen lösten öffentliche Proteste seitens des Militärs aus. Der Kreml kann es sich nicht leisten, die Eliten, die bereits jetzt viele Gründe haben, unzufrieden zu sein, weiter zu verärgern.
Sehen Sie schon Anzeichen für ein neues, mächtigeres Repressionsorgan?
Bisher noch nicht. Wir sehen, dass das System mit aller Macht versucht, so zu bleiben, wie es ist. Dafür sprechen auch die vielen Ehrungen und die Reisen Putins nach dem Wagner-Aufstand, bei denen er sogar so tat, als sei er dem Volk nahe. Aber schon vorher hat zum Beispiel die problematisch verlaufene Mobilmachung gezeigt, dass das Regime Schwierigkeiten hat. Mit der Mobilmachung hatte Putin die unausgesprochene Vereinbarung mit dem Volk gebrochen, wonach das Volk unpolitisch bleiben und im Gegenzug in Ruhe gelassen werden sollte.
Sie leben seit mehr als einem Jahr im Exil in Deutschland, sind viel in Europa unterwegs, sprechen mit vielen Politikerinnen und Politikern. Wie bewerten Sie das Wissen über Russland hier?
Ich tue mich schwer mit solchen Bewertungen. Ich kann nur sagen, dass die Russlandexpertise zum Beispiel in Deutschland immer sehr hoch war …
… da würden Ihnen baltische Staaten oder Polen widersprechen. Sie sagen, Deutschland sei sehr naiv gewesen, habe die Gefahr nicht gesehen, die von Russland droht.
Das ist kein Widerspruch: Deutschland handelte im eigenen Interesse. Es handelte nicht so, weil es Russland nicht für aggressiv hielt, sondern weil es nicht gefährlich für sich hielt.
Wie würden Sie den Zustand des Systems Putin aktuell beschreiben?
Das System zerfällt. Langsam oder schnell – das ist unklar, nur der Weg ist klar: Es geht bergab. Putin kann sich bei den nächsten Wahlen 2024 noch eine Regierungszeit sichern, alle Kritiker werden eingesperrt, die Wahlen elektronisch abgehalten, über mehrere Tage und sogar in den jetzt durch die russische Verfassung integrierten ukrainischen Gebieten. Aber wer soll diese Wahlen und Putins Sieg anerkennen? Belarus? Syrien? Die EU wird sich dieser Frage stellen müssen. Denn das hat sehr große Konsequenzen in der internationalen Politik. Dazu höre ich bisher aber nichts aus Brüssel.
Bundeskanzler Olaf Scholz schloss jüngst nicht aus, wieder mit Wladimir Putin zu telefonieren. Glauben Sie, dass Putin noch dazu gebracht werden kann, seinen Kriegskurs zu überdenken?
Nein. Gespräche mit Putin sind sinnlos. Es ist sein Krieg. Putin ist Krieg. So tief wie er emotional darin verwickelt ist, ist es kein anderer. Etwas anderes ist es mit seiner Umgebung. Wenn ich mit deutschen politischen Vertretern spreche, höre ich oft die Frage: Wer könnte unser Partner sein? Das ist zum jetzigen Zeitpunkt eine falsche Frage. Jetzt wäre es nötig, mit Personen zu reden, die Grund haben, unzufrieden mit Putins Kurs zu sein. Und die gibt es.
Zum Beispiel?
Man muss sich nur die Biografien oder die familiären Verhältnisse von Leuten wie Verteidigungsminister Schoigu oder Sicherheitsratschef Patruschew ansehen, um zu erkennen, dass auch sie Gründe haben, unzufrieden zu sein. Sergej Schoigu, zum Beispiel, hat kein Interesse daran, die Verantwortung für das Scheitern des Krieges zu tragen. Gleichzeitig hat er durch seine Verbindung zum Gouverneur, der der Sohn eines seiner engsten Mitarbeiter ist, viel Macht in der Region Moskau. Nikolai Patruschew, der in den früheren Phasen seiner Karriere über dem derzeitigen Präsidenten stand, könnte seinen Sohn, den Landwirtschaftsminister, durchaus als geeigneten Kandidaten für das nächste Präsidentenamt ansehen, im Gegensatz zum Präsidenten, der keine Söhne hat. Das Gleiche gilt für jedes ständige Mitglied des Sicherheitsrates und für alle Mitglieder der politischen Elite.
Aber gibt es denneinen Zugang für westliche Vertreter zu diesen Leuten?
Wissen Sie, das ist nicht meine Aufgabe, diesen Zugang zu suchen.
Jekaterina Schulmann ist russische Politikwissenschaftlerin, die am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin forscht. Sie forscht über autoritäre Staatsmodelle, insbesondere über das System Putin. Vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine war sie am Moscow School of Social and Economic Sciences (Shaninka) tätig, sie verließ mit ihrer Familie Russland im April 2022 und konnte sich dank eines Stipendiums der Robert Bosch Stiftung in Berlin niederlassen. Schulmann kommentiert auf einem eigenen Telegram-Kanal und via Youtube aktuelle Entwicklungen in Russland, ihre Videos und Kommentare erreichen Hunderttausende Interessierte.
Deutschland
Russland
Ukraine-Krieg
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News
Kiew will weiter Getreide über das Schwarze Meer ausführen
Es dürften keine Zufälle sein: Ausgerechnet an dem Tag, an dem das Getreideabkommen zwischen den Vereinten Nationen, der Türkei, Russland und der Ukraine verlängert werden sollte, kommt es zu Explosionen an der russischen Brücke zur besetzten Halbinsel Krim; und ausgerechnet nach diesem von Russland als “Terroranschlag” gewerteten Angriff kündigt Moskau das Getreideabkommenauf – und erwähnt in einer 1000 Worte langen Pressemitteilung die Krim-Brücke aber nicht.
Nach russischen Angaben soll die Brücke um 3:05 Uhr nachts angegriffen worden sein. Die russische Seite spricht von einer Attacke mit “zwei Wasserdrohnen”, ohne dies zu belegen. Ein Paar sei getötet, ihre 14-jährige Tochter verletzt worden, so die russischen Behörden. Die Ukraine äußerte sich nicht direkt zu den Explosionen. Präsidentenberater Mychajlo Podoljak twitterte lediglich: “Alle illegalen Konstruktionen, die für den Transport russischer Technik für den Massenmord benutzt werden, sind kurzlebig.” Die Beschädigung der Brücke bringt das russische Militär auf der Krim unter Druck, weil sich die Versorgung verschlechtert. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte am Abend bei einer Beratung der russischen Führung militärische Vergeltung an.
Umgehungsroute durch besetzte Gebiete auf ukrainischem Festland
Die Brücke besteht aus vier Autospuren, je zwei in jede Richtung, und zwei Gleisspuren. Den Bildern und Videos nach zu urteilen sind die Schäden deutlich größer als bei einer Attacke im Oktober 2022. Eine Fahrbahn hat sich abgesenkt. Der Autoverkehr kann nur noch über die besetzten ukrainischen Gebiete erfolgen, die Eisenbahnstrecke über die Brücke war nach kurzer Zeit offenbar wieder in Benutzung. Der Fährbetrieb zwischen dem russischen Festland und der Halbinsel war am Montag ausgesetzt.
Vor dem Hintergrund der Explosionen an der Brücke wirken die Erklärungen des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow, wonach die Aufkündigung des Getreideabkommens nicht damit im Zusammenhang stehe, unglaubhaft. In der langen Pressemitteilung dazu übte Moskau am Montag scharfe Kritik an Kiew und seinen westlichen Partnern sowie an UN-Generalsekretär António Guterres. Auffällig war, dass Ankaras Rolle nicht weiter erwähnt wurde.
UN-Generalsekretär warnt vor Hunger
Kiew will weiterhin Getreide über seine Häfen durch das Schwarze Meer ausführen, Russland will aber keine Sicherheitsgarantien mehr geben. Die Sicherheit für ukrainische Schiffe müsste also mit internationalen Kräften durchgesetzt werden. Das Abkommen, das am 1. August 2022 in Kraft getreten war, gewährleistete bis Montag die Ausfuhr von 32 Millionen Tonnen Getreide, Pflanzenöle und andere Agrarerzeugnisse.
UN-Generalsekretär Guterres bedauerte Russlands Rückzug aus dem Vertrag und versprach, sich für eine Lösung einzusetzen: “Es steht einfach zu viel auf dem Spiel in einer hungernden und leidenden Welt”, sagte der UN-Generalsekretär. vf
Geopolitik
Getreideabkommen
Russland
Türkei
Ukraine-Krieg
Erdoğan für Syrien-Gipfel mit Russland und Iran
Das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad unterbindet die Bemühungen um Hilfslieferungen in den Nordwesten des Landes weiter. So kamen auch am Montag am türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa keine humanitären Transporte der Vereinten Nationen in die von Assad-Gegnern gehaltene Provinz Idlib, einer der am schwersten von dem Erdbeben im Februar betroffenen Regionen. Der Grund: Das syrische Regime formulierte für die Öffnung des Übergangs Bedingungen, die das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) am Wochenende als inakzeptabel zurückwies, darunter ein Kontaktverbot zu Gruppen, die die Regierung in Damaskus als Terror-Organisationen einstufe.
Anders als Nichtregierungsorganisationen erlauben die Vereinten Nationen ihren Unterorganisationen wie Ocha nicht, Hilfstransporte ohne Regierungszustimmung durchzuführen. Von den 4,5 Millionen Bewohnern im Nordwesten Syriens sind fast drei Millionen Binnenvertriebene, die seit dem Aufstand gegen das Assad-Regime 2011 aus anderen Teilen des Landes in das heute von der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) kontrollierte Idlib flohen. HTS hatte sich während des Syrien-Kriegs von Al Qaida abgespaltet.
Unterdessen kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag seine Bereitschaft zu politischen Gesprächen mit Assad an. Allerdings würde er einem Abzug türkischer Truppen aus jenen Teilen Nordsyriens nicht zustimmen, die dort eine Pufferzone entlang der Grenze absichern. Vor einer Reise in die Golf-Staaten schlug Erdoğan ein gemeinsames Gipfeltreffen mit Vertretern Russlands, Irans und Syriens vor. Der türkische Präsident hatte zu Beginn des Syrien-Krieges oppositionelle Kräfte unterstützt, die einen Sturz Assads auch militärisch anstrebten. Im Dezember 2022 trafen sich die Verteidigungsminister Syriens und der Türkei zu den höchsten Gesprächen auf Regierungsebene seit Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime 2011. mrb
Russland
Syrien
Türkei
Vereinte Nationen
Presseschau
Financial Times: ‘It’s really the Wild West’: Vienna’s spying problem spins out of control. Österreich versagt dabei, die Zahl der Spione auf seinem Territorium zu reduzieren, insbesondere die Zahl der russischen Spione. Aber auch andere, undemokratische Staaten nutzen Österreich als Basis, um in ganz Europa zu spionieren. Die Folge: Steigendes Risiko für Europa und Ausschluss Österreichs aus dem Informationsaustausch mit westlichen Diensten.
Foreign Policy: How Sudan Became a Saudi-UAE Proxy War. Der Kampf um Khartum ist längst ein Regionalkrieg: Die Schwergewichte am Golf, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, sehen die Chance, ihre Hegemonialstellung im Nahen Osten zu festigen – Riad auf Seiten von Armeechef Burhan, Abu Dhabi hinter dem Führer der Rapid Support Forces (RSF), Hemeti.
Arte-Doku: Aufrüsten gegen Putin – Die Nato in der Ostsee. Zwischen russischem und westlichem Militär kommt es in der Ostsee immer wieder zu Machtspielen. Mit dem Nato-Beitritt Schwedens ist die Ostsee zum “Nato-Meer” geworden. Der 53-minütige Film blickt auf die Orte, wo es in der Ostsee eskalieren könnte und auf die Kräfteverhältnisse dort.
Deutschlandfunk-Podcast: Russisches Öl – Export-Rekorde und neue Abnehmer: Trotz der EU-Sanktionen meldet Russland Rekorde im Öl-Export. Bericht darüber, wie Indien und China von günstigen Ölimporten profitieren und welche Mittel Öltanker nutzen, um die Herkunft des russischen Öls zu verschleiern. 22 Minuten.
Standpunkt
Fortschritte zum Frieden verstetigen
Tobias Pietz ist stellvertretender Leiter des Analyse-Teams beim Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.
Ende Juni kamen vier armenische Soldaten bei einem Angriff aserbaidschanischer Truppen ums Leben – direkt an der Waffenstillstandslinie in Berg-Karabach. Laut der Regierung in Baku handelte es sich dabei um die Antwort auf armenischen Beschuss. Zeitlich fiel die Eskalation zusammen mit einem Zeichen der Hoffnung: Gerade erst war US-Außenminister Antony Blinken in Washington D.C. mit seinen Counterparts aus Armenien und Aserbaidschan zu Friedensgesprächen zusammengekommen.
Den Verhandlungsfaden von Washington wieder aufnehmen
Die Bundesregierung in Berlin könnte darauf einwirken, dass sich das ändert – beispielsweise dadurch, dass die Anfang des Jahres eingerichtete, von Bundespolizist Markus Ritter geführte EU-Mission in Armenien (EUMA) endlich nicht nur die vorgesehene Einsatzstärke erreicht, sondern auch das nötige Equipment erhält, um alle Patrouillen wie geplant umzusetzen. Aktuell sind noch Fahrzeuge der EU-Mission in Georgien und in Armenien im Einsatz.
Auch seitens der EU-Diplomatie in Brüssel könnte Druck auf die Regierungschefs Armeniens, Nikol Paschinjan, und Aserbaidschans, Ilham Alijew, ausgeübt werden, um den Verhandlungsfaden von Washington wieder aufzunehmen. Schließlich werden international weiterhin große Hoffnungen auf einen Verhandlungsdurchbruch noch in diesem Jahr gehegt: Allein die EU hat seit 2022 fünf Treffen der Staats- und Regierungschefs beider Länder vermittelt.
Armenien erkennt Gebietsansprüche Aserbaidschans an
Im Mai erkannte Armeniens Ministerpräsident Paschinjan zum ersten Mal an, dass Karabach aserbaidschanisches Hoheitsgebiet sei. Damit hat er einen der zentralen Streitpunkte in dem Konflikt abgeräumt. Allerdings führte seine Forderung internationaler Sicherheitsgarantien für die armenische Bevölkerung der Enklave zu deutlichem Widerspruch aus Baku.
Hier ist die EU gefragt, die sich seit vergangenem Jahr in eine überraschend zentrale Position gespielt hat. Ihrer Verantwortung für eine weitere Annäherung der Konfliktparteien aber kann sie nur durch weiteres Drängen auf Verhandlungen gerecht werden.
Deeskalation an heißer Grenze
Eine wichtige Rolle dabei spielt seit Februar die EU-Beobachtungsmission EUMA mit ihren 100 unbewaffneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Mandat läuft noch bis 2025 – EUMA-Hauptsitz ist in Yeghegndsor, mit Außenstellen in Kapan, Goris, Jermuk, Martuni und Ijevan.
Neben regelmäßigen Patrouillen entlang der Grenze – allerdings ausschließlich auf armenischem Gebiet -, hat die Mission die Aufgabe, lokale Kommunikationskanäle und Deeskalationsmechanismen zwischen den Konfliktparteien aufzubauen. Außerdem unterstützt sie Bemühungen zur Demarkation der Grenze sowie trilaterale Gespräche mit Vertretern der EU, Armeniens und Aserbaidschans.
Baku beschwert sich über EU-Mission
Die armenische Regierung in Eriwan hofft, dass die Mission allein durch ihre Präsenz im Grenzgebiet die Zahl der Zwischenfälle reduzieren und trotz ihrer überschaubaren Größe wie eine Art Schutzschirm wirken könnte. Die aserbaidschanische Führung in Baku hingegen hat sich wiederholt über die Mission beschwert – und sieht sie als potenzielles Störelement für den Dialogprozess. Um Spannungen zu vermeiden, informieren EUMA-Führung und der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus und Georgien, Toivo Klaar, Baku regelmäßig im Voraus über geplante Routen für Beobachtungsfahrten.
Auch wenn die Mission noch nicht ihre volle Einsatzfähigkeit erreicht hat, zeigt sie bereits Präsenz an Schlüsselstellen der Grenze – und nimmt mitunter auch hochrangige EU-Besucherinnen und Besucher mit auf Patrouille, ein probates Mittel, um das Engagement der Mitgliedstaaten zu erhalten.
Deutschland leistet aktuell den größten personellen Beitrag für den Einsatz. Nicht allein stellt es den Missionsleiter, sondern auch etwa 15 Prozent des EUMA-Personals – das bei Weitem größte nationale Kontingent aller EU-Mitgliedstaaten. Berlin wird als neutral wahrgenommen – anders als Paris, das in Baku den Ruf hat, es handele im Namen der großen armenischen Gemeinschaft in Frankreich. Dieses Gewicht sollte die Bundesregierung nutzen, um nach Anerkennung des aserbaidschanischen Anspruchs auf Karabach durch Armeniens Ministerpräsident Paschinjans im Mai den so hoffnungsvoll begonnen Friedensprozess weiter zu stärken.
Tobias Pietz ist stellvertretender Leiter des Analyse-Teams beim Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.
seit Abschluss des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine vor einem Jahr drohte Wladimir Putin immer wieder damit, es auslaufen zu lassen. Nun ist es wirklich so weit: Nach ersten Berichten über Explosionen an der Krim-Brücke kündigte Moskau das Abkommen am Montagmorgen auf – ohne die Vorfälle am Übergang über die Meerenge von Kertsch zu erwähnen. Dafür drohte Putin am Abend Vergeltung für den Angriff auf die Brücke an. In den News erfahren Sie, warum die Aufkündigung mit den Explosionen zusammenhängen dürfte.
“Putins System zerfällt”, sagt die russische Politologin Jekaterina Schulmann, die am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin forscht, im Gespräch mit Viktor Funk. Der russische Machthaber könne die Wahlen 2024 zwar noch gewinnen, für erfolgreiche Politik bräuchte er aber internationale Partner, die ihn anerkennen. Neben Belarus und Syrien blieben da nicht mehr viele.
Einer der wenigen ist Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina. Mit seinen Angriffen auf Institutionen des Gesamtstaates und den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, verstärkt Dodik die Sezessionsängste in Sarajevo und Brüssel. Alexander Rothert analysiert die Bedrohungslage für die EU-Militärmission EUFOR Althea.
Im Kaukasus ist die EU mit einer zivilen Beobachtermission präsent – die EUMA stärken sollte die Bundesregierung in Berlin, um den Friedensprozess zwischen Armenien und Aserbaidschan wieder in Gang zu bringen, fordert Tobias Pietz vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze in seinem Standpunkt. Anders als Frankreich werde Deutschland dort als neutral wahrgenommen.
Ihr Gabriel Bub
Analyse
Bosnien-Herzegowina: Erhöhte Bedrohungslage für Diplomaten und EUFOR-Soldaten
Hand in Hand für die serbische Sache: Der Präsident der bosnisch-serbischen Republika Srpska, Milorad Dodik, und Russlands Präsident Wladimir Putin im Mai in Moskau.
Die Politik des Präsidenten des serbisch dominierten Landesteils Bosnien-Herzegowinas, Milorad Dodik, sorgt weiter für Instabilität – und könnte auch die seit Kriegsende 1995 in dem Land präsenten internationalen Truppen gefährden. Aus Sorge um den Zusammenhalt des in zwei sogenannte Entitäten geteilten Dreimillioneneinwohnerlandes hatten die EU-Außenminister im Februar 2022 eine Aufstockung der EU-Stabilisierungsmission EUFOR Althea auf 1.100 Soldaten und damit auf nahezu das Doppelte beschlossen – sowie die Verstärkung der Einheiten mit Schützenpanzern.
Auch wegen Dodiks nationalistischer Politik als Präsident der Republika Srpska (RS) hatte der Bundestag im Sommer 2022 nach zehn Jahren Abstinenz beschlossen, die Bundeswehr wieder an dem EU-Einsatz in Bosnien zu beteiligen. Dort unterstützt die Nato im Rahmen ihrer “Berlin-Plus-Vereinbarung” die EU-Kräfte mit Strukturen und Fähigkeiten, obwohl die westliche Militärallianz als Ganzes selbst nicht in Bosnien engagiert ist. Im Juni verlängerte der Bundestag das EUFOR-Mandat um ein weiteres Jahr bis Ende Juni 2024.
Wie ihre EU-Verbündeten schätzt die Bundesregierung die Sicherheitslage in dem Drei-Millionen-Einwohnerland auf dem Westbalkan zurzeit als “kontrollierbar” ein, die Bedrohungslage hingegen als “hoch”. Das geht aus der regulären Unterrichtung des Verteidigungsministeriums in Berlin an die Bundestagsabgeordneten hervor.
Nils Schmid: Vučić ist der eigentliche “Bad Guy” auf dem Balkan
Die Sarajevo Times berichtete Anfang Juli, dass die EUFOR-Führung “gegenwärtig keine Notwendigkeit” für eine Truppenaufstockung sehe, aber “politische Spannungen” beobachte, die die Sicherheitssituation beeinflussen könnten. “Wenn notwendig, kann der EUFOR-Kommandeur Reservekräfte aktivieren”, heißt es aus der Pressestelle der derzeit vom französischen Generalleutnant Hubert Cottereau geführten Mission.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, spricht sich gegenüber Table.Media gegen eine abermalige Aufstockung des EUFOR-Kontingents aus: “Eine Stärkung Bosniens muss vor allem politisch erfolgen – nicht über eine weitere Aufstockung von Soldaten vor Ort.” Die Bundesregierung beobachte “das Gebaren von Dodik mit großer politischer Sorge – ebenso wie das seines Verbündeten, Serbiens Präsident Vučić, dem eigentlichen Bad Guy auf dem westlichen Balkan”, so Schmid.
US-Regierung warnt vor Sezession der Republika Srpska
Dodiks jüngste Angriffe auf Institutionen des bosnischen Gesamtstaats und den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, zählen zu den gravierendsten seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995. So entschied das bosnisch-serbische Parlament in Banja Luka Anfang Juli, künftig Gesetze zu verabschieden, mit denen Urteile des gesamtstaatlichen Verfassungsgerichts ausgehebelt und eigentlich bindende Entscheidungen des Hohen Repräsentanten für null und nichtig erklärt werden können.
Der oberste Vertreter der Dayton-Garantiemächte – der seit August 2021 amtierende deutsche CSU-Politiker Schmidt – reagierte darauf vergangene Woche mit einem Dekret zur Erweiterung des Strafgesetzbuches, das strafrechtliche Konsequenzen für Amtsträger vorsieht, die Dodiks Gesetze befolgen und Entscheidungen missachten. Bis zu fünf Jahre Haft drohen künftig für Handlungen, die die verfassungsgemäße Ordnung des Gesamtstaats gefährden.
Der österreichische Völkerrechtler Josef Marko warnte in der österreichischen Tageszeitung Standard, dass Dodiks Vorgehen “der allerletzte Schritt vor der Sezessionserklärung” sei. US-Außenminister Antony Blinken verurteilte Dodik vergangene Woche scharf; der US-Balkan-Gesandte Gabriel Escobar kommentierte, dass die gegenwärtige Situation ähnlich “verstörend” sei wie kurz vor Kriegsbeginn 1992.
Militarisierung der bosnisch-serbischen Polizei
Dodik forciert seit Jahren eine Militarisierung der bosnisch-serbischen Polizei. Zwischen 2015 und 2017 wurden die RS-Haushaltsmittel für den Erwerb von Kriegswaffen verdreifacht. 2018 bestätigte er die Anschaffung von 2.500 Sturmgewehren, zu einem Zeitpunkt, als die RS-Polizei bereits über 4.000 solcher Gewehre und Hunderte Maschinenpistolen verfügte, zumeist aus Serbien, Brasilien und Belgien. Die Stärke der bosnisch-serbischen Polizei beläuft sich laut dem Innenministerium in Banja Luka auf 5.200 Kräfte.
Die Lage könnte durch die Stationierung von EUFOR-Verbänden im Brčko-Distrikt beruhigt werden, heißt es in sicherheitspolitischen Kreisen in Brüssel. Brčko ist Dodiks Achillesferse, denn der Distrikt teilt die Republika Srpska in einen Ost- und Westteil. Die Aussage des US-Balkan-Gesandten Escobar, er wisse nichts von einer Verlegung von EUFOR-Einheiten nach Brčko, lässt den Schluss zu, dass die EU noch keine Entscheidung gefällt hat.
Schleichende Sezession statt Big Bang
Ein Scheitern des Gesamtstaats könnte auch ohne “Big Bang” erfolgen, sozusagen schleichend. Dodiks jahrelange Unterminierung der Staatsinstitutionen und der Aufbau paralleler Strukturen sind Indikatoren dafür. Sobald seine paramilitärischen Verbände stark genug erscheinen, um die faktischen Grenzübergänge zwischen dem muslimisch-kroatischen und dem serbischen Teil des Landes, die sogenannten administrativen Entitätsübergänge (IEBL, Inter-Entity Boundary Line), polizeilich abzuschirmen, könnte er eine Eskalation provozieren.
Dodik hat dies auf lokaler Ebene im Januar während der verfassungsfeindlichen Paramilitärparade zum 31. Gründungstag der RS bereits durchexerziert, als er die IEBL-Übergänge von der Polizei überwachen ließ, was einen Bruch der Dayton-Bestimmungen bedeutete. Der bosniakische Vertreter im Staatspräsidium, Denis Bećirović, warnte Anfang Juli, dass im Falle einer Sezessionein “Plan B” vorläge, um die verfassungsmäßige Ordnung Bosniens zu bewahren. Von Alexander Rhotert mit mrb
Bundeswehr
EU
Geopolitik
Nato
Russland
Russische Politologin Schulmann über Putin: “Das System zerfällt”
Jekaterina Schulmann verließ Russland im April 2022 und forscht heute am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin.
Frau Schulman, vor kurzem baten Sie bei Politikern in Brüssel, eine Ansprechstelle für Russinnen und Russen einzurichten, die in der EU im Exil leben. Sie rechnen also nicht damit, bald nach Russland zurückkehren zu können?
Es sind immer individuelle Abwägungen, ob jemand zurückkehren will und kann. In Brüssel wies ich darauf hin, dass solch eine Stelle nötig ist, weil Hunderttausende Menschen aus Russland in der EU leben, die offiziell von der russischen Seite als Verräter gebrandmarkt werden. Das heißt, dass sie von staatlichen Dienstleistungen Russlands ausgeschlossen sind, russische Vertretungen schützen sie nicht, und es kann sogar gefährlich für sie sein, den Service der Vertretungen in Anspruch zu nehmen. Und die Zahl dieser Exilanten wächst. Im Moment ist es unklar, wann und ob überhaupt diese Menschen zurückkehren können. Deswegen wäre es gut, wenn sich jemand um deren Belange kümmert.
Für wie stabil halten Sie denn das System Putin, gerade vor dem Hintergrund des versuchten Putsches des Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin im Juni?
Was den Putschversuch betrifft: Entgegen der üblichen Praxis bei gescheiterten Militäraufständen wurde dieser Putsch nicht niedergeschlagen oder zerschlagen, sondern es wurde mit den Verantwortlichen verhandelt. Offensichtlich gibt es einen Deal mit Prigoschin. Wir wissen nicht, wie er aussieht, und je mehr Zeit vergeht, desto undurchsichtiger wird alles. Wir sehen aber, dass das System wieder Loyalität kauft. Der Nationalgarde (Rosgwardija) werden nicht nur Panzer und andere schwere Waffen versprochen, sondern ab Oktober erhalten sämtliche Bedienstete in allen Strafverfolgungs- und Sicherheitsorganen auch 10,5 Prozent mehr Gehalt. Bisher setzt das System also auf Zuckerbrot und nicht auf Peitsche.
Was ist mit den Militärs, die angeblich verhört wurden und nicht mehr aufgetaucht sind?
Abgesehen von den vagen Gerüchten über den Rücktritt dieses oder jenes Generals gab es keine Anzeichen für größere personelle Veränderungen im Machtsystem. Niemand wurde öffentlich zur Rechenschaft gezogen, weder für die Meuterei selbst noch für das Versäumnis, sie zu verhindern und zu beenden.
Wie deuten Sie das?
Nun, die Stabilität eines Systems zeichnet sich dadurch aus, dass es in der Lage ist, den Status quo zu erhalten, ohne das übliche Maß an Gewalt zu überschreiten. Wenn man aber deutlich mehr Aufwand betreiben muss, um Unzufriedenheiten zu unterdrücken, dann ist das ein Zeichen von Destabilisierung. Sie kann mit mehr Repression einhergehen, wenn sich die Macht in den inneren Strukturen verschiebt, zum Beispiel mehr zu den Repressionsbehörden. Das wirkt sich dann auf die gesamte Struktur aus. Damit steigt auch die Abhängigkeit des Staates von diesen Repressionsbehörden: Das System muss dann möglicherweise eine noch mächtigere Behörde aufbauen, wie den Geheimdienst NKWD unter Stalin oder die SS in der Nazizeit. Andererseits könnte sich das politische System gerade jetzt zu bedroht fühlen, um eine große Repressionskampagne zu starten. Die erwähnten Rücktritte von Generälen lösten öffentliche Proteste seitens des Militärs aus. Der Kreml kann es sich nicht leisten, die Eliten, die bereits jetzt viele Gründe haben, unzufrieden zu sein, weiter zu verärgern.
Sehen Sie schon Anzeichen für ein neues, mächtigeres Repressionsorgan?
Bisher noch nicht. Wir sehen, dass das System mit aller Macht versucht, so zu bleiben, wie es ist. Dafür sprechen auch die vielen Ehrungen und die Reisen Putins nach dem Wagner-Aufstand, bei denen er sogar so tat, als sei er dem Volk nahe. Aber schon vorher hat zum Beispiel die problematisch verlaufene Mobilmachung gezeigt, dass das Regime Schwierigkeiten hat. Mit der Mobilmachung hatte Putin die unausgesprochene Vereinbarung mit dem Volk gebrochen, wonach das Volk unpolitisch bleiben und im Gegenzug in Ruhe gelassen werden sollte.
Sie leben seit mehr als einem Jahr im Exil in Deutschland, sind viel in Europa unterwegs, sprechen mit vielen Politikerinnen und Politikern. Wie bewerten Sie das Wissen über Russland hier?
Ich tue mich schwer mit solchen Bewertungen. Ich kann nur sagen, dass die Russlandexpertise zum Beispiel in Deutschland immer sehr hoch war …
… da würden Ihnen baltische Staaten oder Polen widersprechen. Sie sagen, Deutschland sei sehr naiv gewesen, habe die Gefahr nicht gesehen, die von Russland droht.
Das ist kein Widerspruch: Deutschland handelte im eigenen Interesse. Es handelte nicht so, weil es Russland nicht für aggressiv hielt, sondern weil es nicht gefährlich für sich hielt.
Wie würden Sie den Zustand des Systems Putin aktuell beschreiben?
Das System zerfällt. Langsam oder schnell – das ist unklar, nur der Weg ist klar: Es geht bergab. Putin kann sich bei den nächsten Wahlen 2024 noch eine Regierungszeit sichern, alle Kritiker werden eingesperrt, die Wahlen elektronisch abgehalten, über mehrere Tage und sogar in den jetzt durch die russische Verfassung integrierten ukrainischen Gebieten. Aber wer soll diese Wahlen und Putins Sieg anerkennen? Belarus? Syrien? Die EU wird sich dieser Frage stellen müssen. Denn das hat sehr große Konsequenzen in der internationalen Politik. Dazu höre ich bisher aber nichts aus Brüssel.
Bundeskanzler Olaf Scholz schloss jüngst nicht aus, wieder mit Wladimir Putin zu telefonieren. Glauben Sie, dass Putin noch dazu gebracht werden kann, seinen Kriegskurs zu überdenken?
Nein. Gespräche mit Putin sind sinnlos. Es ist sein Krieg. Putin ist Krieg. So tief wie er emotional darin verwickelt ist, ist es kein anderer. Etwas anderes ist es mit seiner Umgebung. Wenn ich mit deutschen politischen Vertretern spreche, höre ich oft die Frage: Wer könnte unser Partner sein? Das ist zum jetzigen Zeitpunkt eine falsche Frage. Jetzt wäre es nötig, mit Personen zu reden, die Grund haben, unzufrieden mit Putins Kurs zu sein. Und die gibt es.
Zum Beispiel?
Man muss sich nur die Biografien oder die familiären Verhältnisse von Leuten wie Verteidigungsminister Schoigu oder Sicherheitsratschef Patruschew ansehen, um zu erkennen, dass auch sie Gründe haben, unzufrieden zu sein. Sergej Schoigu, zum Beispiel, hat kein Interesse daran, die Verantwortung für das Scheitern des Krieges zu tragen. Gleichzeitig hat er durch seine Verbindung zum Gouverneur, der der Sohn eines seiner engsten Mitarbeiter ist, viel Macht in der Region Moskau. Nikolai Patruschew, der in den früheren Phasen seiner Karriere über dem derzeitigen Präsidenten stand, könnte seinen Sohn, den Landwirtschaftsminister, durchaus als geeigneten Kandidaten für das nächste Präsidentenamt ansehen, im Gegensatz zum Präsidenten, der keine Söhne hat. Das Gleiche gilt für jedes ständige Mitglied des Sicherheitsrates und für alle Mitglieder der politischen Elite.
Aber gibt es denneinen Zugang für westliche Vertreter zu diesen Leuten?
Wissen Sie, das ist nicht meine Aufgabe, diesen Zugang zu suchen.
Jekaterina Schulmann ist russische Politikwissenschaftlerin, die am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin forscht. Sie forscht über autoritäre Staatsmodelle, insbesondere über das System Putin. Vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine war sie am Moscow School of Social and Economic Sciences (Shaninka) tätig, sie verließ mit ihrer Familie Russland im April 2022 und konnte sich dank eines Stipendiums der Robert Bosch Stiftung in Berlin niederlassen. Schulmann kommentiert auf einem eigenen Telegram-Kanal und via Youtube aktuelle Entwicklungen in Russland, ihre Videos und Kommentare erreichen Hunderttausende Interessierte.
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News
Kiew will weiter Getreide über das Schwarze Meer ausführen
Es dürften keine Zufälle sein: Ausgerechnet an dem Tag, an dem das Getreideabkommen zwischen den Vereinten Nationen, der Türkei, Russland und der Ukraine verlängert werden sollte, kommt es zu Explosionen an der russischen Brücke zur besetzten Halbinsel Krim; und ausgerechnet nach diesem von Russland als “Terroranschlag” gewerteten Angriff kündigt Moskau das Getreideabkommenauf – und erwähnt in einer 1000 Worte langen Pressemitteilung die Krim-Brücke aber nicht.
Nach russischen Angaben soll die Brücke um 3:05 Uhr nachts angegriffen worden sein. Die russische Seite spricht von einer Attacke mit “zwei Wasserdrohnen”, ohne dies zu belegen. Ein Paar sei getötet, ihre 14-jährige Tochter verletzt worden, so die russischen Behörden. Die Ukraine äußerte sich nicht direkt zu den Explosionen. Präsidentenberater Mychajlo Podoljak twitterte lediglich: “Alle illegalen Konstruktionen, die für den Transport russischer Technik für den Massenmord benutzt werden, sind kurzlebig.” Die Beschädigung der Brücke bringt das russische Militär auf der Krim unter Druck, weil sich die Versorgung verschlechtert. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte am Abend bei einer Beratung der russischen Führung militärische Vergeltung an.
Umgehungsroute durch besetzte Gebiete auf ukrainischem Festland
Die Brücke besteht aus vier Autospuren, je zwei in jede Richtung, und zwei Gleisspuren. Den Bildern und Videos nach zu urteilen sind die Schäden deutlich größer als bei einer Attacke im Oktober 2022. Eine Fahrbahn hat sich abgesenkt. Der Autoverkehr kann nur noch über die besetzten ukrainischen Gebiete erfolgen, die Eisenbahnstrecke über die Brücke war nach kurzer Zeit offenbar wieder in Benutzung. Der Fährbetrieb zwischen dem russischen Festland und der Halbinsel war am Montag ausgesetzt.
Vor dem Hintergrund der Explosionen an der Brücke wirken die Erklärungen des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow, wonach die Aufkündigung des Getreideabkommens nicht damit im Zusammenhang stehe, unglaubhaft. In der langen Pressemitteilung dazu übte Moskau am Montag scharfe Kritik an Kiew und seinen westlichen Partnern sowie an UN-Generalsekretär António Guterres. Auffällig war, dass Ankaras Rolle nicht weiter erwähnt wurde.
UN-Generalsekretär warnt vor Hunger
Kiew will weiterhin Getreide über seine Häfen durch das Schwarze Meer ausführen, Russland will aber keine Sicherheitsgarantien mehr geben. Die Sicherheit für ukrainische Schiffe müsste also mit internationalen Kräften durchgesetzt werden. Das Abkommen, das am 1. August 2022 in Kraft getreten war, gewährleistete bis Montag die Ausfuhr von 32 Millionen Tonnen Getreide, Pflanzenöle und andere Agrarerzeugnisse.
UN-Generalsekretär Guterres bedauerte Russlands Rückzug aus dem Vertrag und versprach, sich für eine Lösung einzusetzen: “Es steht einfach zu viel auf dem Spiel in einer hungernden und leidenden Welt”, sagte der UN-Generalsekretär. vf
Geopolitik
Getreideabkommen
Russland
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Ukraine-Krieg
Erdoğan für Syrien-Gipfel mit Russland und Iran
Das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad unterbindet die Bemühungen um Hilfslieferungen in den Nordwesten des Landes weiter. So kamen auch am Montag am türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa keine humanitären Transporte der Vereinten Nationen in die von Assad-Gegnern gehaltene Provinz Idlib, einer der am schwersten von dem Erdbeben im Februar betroffenen Regionen. Der Grund: Das syrische Regime formulierte für die Öffnung des Übergangs Bedingungen, die das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) am Wochenende als inakzeptabel zurückwies, darunter ein Kontaktverbot zu Gruppen, die die Regierung in Damaskus als Terror-Organisationen einstufe.
Anders als Nichtregierungsorganisationen erlauben die Vereinten Nationen ihren Unterorganisationen wie Ocha nicht, Hilfstransporte ohne Regierungszustimmung durchzuführen. Von den 4,5 Millionen Bewohnern im Nordwesten Syriens sind fast drei Millionen Binnenvertriebene, die seit dem Aufstand gegen das Assad-Regime 2011 aus anderen Teilen des Landes in das heute von der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) kontrollierte Idlib flohen. HTS hatte sich während des Syrien-Kriegs von Al Qaida abgespaltet.
Unterdessen kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag seine Bereitschaft zu politischen Gesprächen mit Assad an. Allerdings würde er einem Abzug türkischer Truppen aus jenen Teilen Nordsyriens nicht zustimmen, die dort eine Pufferzone entlang der Grenze absichern. Vor einer Reise in die Golf-Staaten schlug Erdoğan ein gemeinsames Gipfeltreffen mit Vertretern Russlands, Irans und Syriens vor. Der türkische Präsident hatte zu Beginn des Syrien-Krieges oppositionelle Kräfte unterstützt, die einen Sturz Assads auch militärisch anstrebten. Im Dezember 2022 trafen sich die Verteidigungsminister Syriens und der Türkei zu den höchsten Gesprächen auf Regierungsebene seit Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime 2011. mrb
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Presseschau
Financial Times: ‘It’s really the Wild West’: Vienna’s spying problem spins out of control. Österreich versagt dabei, die Zahl der Spione auf seinem Territorium zu reduzieren, insbesondere die Zahl der russischen Spione. Aber auch andere, undemokratische Staaten nutzen Österreich als Basis, um in ganz Europa zu spionieren. Die Folge: Steigendes Risiko für Europa und Ausschluss Österreichs aus dem Informationsaustausch mit westlichen Diensten.
Foreign Policy: How Sudan Became a Saudi-UAE Proxy War. Der Kampf um Khartum ist längst ein Regionalkrieg: Die Schwergewichte am Golf, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, sehen die Chance, ihre Hegemonialstellung im Nahen Osten zu festigen – Riad auf Seiten von Armeechef Burhan, Abu Dhabi hinter dem Führer der Rapid Support Forces (RSF), Hemeti.
Arte-Doku: Aufrüsten gegen Putin – Die Nato in der Ostsee. Zwischen russischem und westlichem Militär kommt es in der Ostsee immer wieder zu Machtspielen. Mit dem Nato-Beitritt Schwedens ist die Ostsee zum “Nato-Meer” geworden. Der 53-minütige Film blickt auf die Orte, wo es in der Ostsee eskalieren könnte und auf die Kräfteverhältnisse dort.
Deutschlandfunk-Podcast: Russisches Öl – Export-Rekorde und neue Abnehmer: Trotz der EU-Sanktionen meldet Russland Rekorde im Öl-Export. Bericht darüber, wie Indien und China von günstigen Ölimporten profitieren und welche Mittel Öltanker nutzen, um die Herkunft des russischen Öls zu verschleiern. 22 Minuten.
Standpunkt
Fortschritte zum Frieden verstetigen
Tobias Pietz ist stellvertretender Leiter des Analyse-Teams beim Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.
Ende Juni kamen vier armenische Soldaten bei einem Angriff aserbaidschanischer Truppen ums Leben – direkt an der Waffenstillstandslinie in Berg-Karabach. Laut der Regierung in Baku handelte es sich dabei um die Antwort auf armenischen Beschuss. Zeitlich fiel die Eskalation zusammen mit einem Zeichen der Hoffnung: Gerade erst war US-Außenminister Antony Blinken in Washington D.C. mit seinen Counterparts aus Armenien und Aserbaidschan zu Friedensgesprächen zusammengekommen.
Den Verhandlungsfaden von Washington wieder aufnehmen
Die Bundesregierung in Berlin könnte darauf einwirken, dass sich das ändert – beispielsweise dadurch, dass die Anfang des Jahres eingerichtete, von Bundespolizist Markus Ritter geführte EU-Mission in Armenien (EUMA) endlich nicht nur die vorgesehene Einsatzstärke erreicht, sondern auch das nötige Equipment erhält, um alle Patrouillen wie geplant umzusetzen. Aktuell sind noch Fahrzeuge der EU-Mission in Georgien und in Armenien im Einsatz.
Auch seitens der EU-Diplomatie in Brüssel könnte Druck auf die Regierungschefs Armeniens, Nikol Paschinjan, und Aserbaidschans, Ilham Alijew, ausgeübt werden, um den Verhandlungsfaden von Washington wieder aufzunehmen. Schließlich werden international weiterhin große Hoffnungen auf einen Verhandlungsdurchbruch noch in diesem Jahr gehegt: Allein die EU hat seit 2022 fünf Treffen der Staats- und Regierungschefs beider Länder vermittelt.
Armenien erkennt Gebietsansprüche Aserbaidschans an
Im Mai erkannte Armeniens Ministerpräsident Paschinjan zum ersten Mal an, dass Karabach aserbaidschanisches Hoheitsgebiet sei. Damit hat er einen der zentralen Streitpunkte in dem Konflikt abgeräumt. Allerdings führte seine Forderung internationaler Sicherheitsgarantien für die armenische Bevölkerung der Enklave zu deutlichem Widerspruch aus Baku.
Hier ist die EU gefragt, die sich seit vergangenem Jahr in eine überraschend zentrale Position gespielt hat. Ihrer Verantwortung für eine weitere Annäherung der Konfliktparteien aber kann sie nur durch weiteres Drängen auf Verhandlungen gerecht werden.
Deeskalation an heißer Grenze
Eine wichtige Rolle dabei spielt seit Februar die EU-Beobachtungsmission EUMA mit ihren 100 unbewaffneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Mandat läuft noch bis 2025 – EUMA-Hauptsitz ist in Yeghegndsor, mit Außenstellen in Kapan, Goris, Jermuk, Martuni und Ijevan.
Neben regelmäßigen Patrouillen entlang der Grenze – allerdings ausschließlich auf armenischem Gebiet -, hat die Mission die Aufgabe, lokale Kommunikationskanäle und Deeskalationsmechanismen zwischen den Konfliktparteien aufzubauen. Außerdem unterstützt sie Bemühungen zur Demarkation der Grenze sowie trilaterale Gespräche mit Vertretern der EU, Armeniens und Aserbaidschans.
Baku beschwert sich über EU-Mission
Die armenische Regierung in Eriwan hofft, dass die Mission allein durch ihre Präsenz im Grenzgebiet die Zahl der Zwischenfälle reduzieren und trotz ihrer überschaubaren Größe wie eine Art Schutzschirm wirken könnte. Die aserbaidschanische Führung in Baku hingegen hat sich wiederholt über die Mission beschwert – und sieht sie als potenzielles Störelement für den Dialogprozess. Um Spannungen zu vermeiden, informieren EUMA-Führung und der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus und Georgien, Toivo Klaar, Baku regelmäßig im Voraus über geplante Routen für Beobachtungsfahrten.
Auch wenn die Mission noch nicht ihre volle Einsatzfähigkeit erreicht hat, zeigt sie bereits Präsenz an Schlüsselstellen der Grenze – und nimmt mitunter auch hochrangige EU-Besucherinnen und Besucher mit auf Patrouille, ein probates Mittel, um das Engagement der Mitgliedstaaten zu erhalten.
Deutschland leistet aktuell den größten personellen Beitrag für den Einsatz. Nicht allein stellt es den Missionsleiter, sondern auch etwa 15 Prozent des EUMA-Personals – das bei Weitem größte nationale Kontingent aller EU-Mitgliedstaaten. Berlin wird als neutral wahrgenommen – anders als Paris, das in Baku den Ruf hat, es handele im Namen der großen armenischen Gemeinschaft in Frankreich. Dieses Gewicht sollte die Bundesregierung nutzen, um nach Anerkennung des aserbaidschanischen Anspruchs auf Karabach durch Armeniens Ministerpräsident Paschinjans im Mai den so hoffnungsvoll begonnen Friedensprozess weiter zu stärken.
Tobias Pietz ist stellvertretender Leiter des Analyse-Teams beim Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.