William Lai hat einen schweren Job. Nach innen wird Taiwans künftiger Präsident es mit der erstarkten Opposition zu tun haben, die das Parlament dominiert. Wenn er wissen möchte, wie viel Spaß Koalitionsregierungen machen, kann er bei Deutschlands aktuellen und ehemaligen Regierungschefs nachfragen, die haben bekanntlich reichlich Erfahrung damit. Michael Radunski analysiert die neue innenpolitische Lage in Taiwan.
Nach außen hat Lai es mit einem China zu tun, das die Insel in der Umklammerung einer hybriden Strategie hält: militärische Drohungen plus den Aufbau von Abhängigkeiten. Mit dem Sieg das China-kritischen Lai hat Peking auch keinen Grund mehr, eine freundliche Miene zu machen. Leonardo Pape beschreibt, wie China reagiert und wie sich die Beziehungen zwischen Taiwan und China nun entwickeln könnten.
In eigener Sache: Wenn Sie die Inhalte von Table.Media nicht nur lesen möchten, sondern auch hören, empfehlen wir unseren neuen Podcast Table.Today. Heute um sechs Uhr geht es los mit einem Gespräch unseres neuen Chefredakteurs Michael Bröcker mit Bundesfinanzminister Christian Lindner. Auch China wird bei Table.Today immer wieder Thema sein.
Einen starken Start in die Woche wünscht

Lai Ching-te (William Lai) wird Taiwans neuer Präsident. Doch Lai und seine DPP müssen auch eine herbe Niederlage einstecken: Im Parlament, dem Legislativ-Yuan, verlor die Regierungspartei ihre bisherige Mehrheit. Hier ist nun die KMT die stärkste Kraft mit 52 Sitzen. Erst dann folgt die DPP mit einem Sitz weniger.
Die beiden unterschiedlichen Ergebnisse spiegeln einen Spagat der Wähler wider: Mit Lai als Präsident will man – vor allem in Bezug auf China – den Status quo beibehalten. Hier setzt Lai auf kulturelle und wirtschaftliche Eigenständigkeit, politische Souveränität und militärische Abschreckung. Die neuen Mehrheiten im Parlament bringen hingegen die innenpolitische Unzufriedenheit der Taiwaner zum Ausdruck.

Die Folge: Es wird kompliziert. Lai wird in den kommenden vier Jahren schwierige Kompromisse eingehen müssen. Das birgt Gefahren: China wird versuchen, diese Spaltung auszunutzen. Es bieten sich aber auch Chancen: Lais DPP setzt auf die internationale Anbindung Taiwans – traditionell an die USA, vermehrt aber auch an die EU.
Schon am Wahlabend zeigte Lai, welcher Balanceakt ihm bevorsteht. “Als Präsident habe ich eine große Verantwortung, Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße aufrechtzuerhalten”, sagte der Wahlsieger. Gleichzeitig sei er aber fest entschlossen, Taiwan gegen die anhaltenden Drohungen aus China zu verteidigen: “Taiwan hat sich nicht an irgendwelchen provokativen Handlungen beteiligt. Wir wollen lediglich unseren demokratischen Lebensstil beibehalten.” Doch Demokratie bedeutet eben auch, dass man seine komfortable Parlamentsmehrheit verlieren kann, wenn die Bürger mit der aktuellen Politik unzufrieden sind.
“Von außen sehen wir vor allem Taiwans Verhältnis zu China als entscheidendes Thema. Durchaus zu Recht, angesichts der geopolitischen Wichtigkeit”, sagt die auf Taiwan spezialisierte Sinologin Josie-Marie Perkuhn von der Universität Trier. Perkuhn ist derzeit in Taiwan und erklärt: “In Taiwan selbst sind jedoch die innenpolitischen Probleme für die Wahlentscheidung wichtiger.” Und hier gibt es etliche Probleme: zu niedrige Löhne und zu hohe Lebenshaltungskosten. Zu teure Wohnungen und zu lange Arbeitszeiten. Hinzu kommen immer wieder Korruptions- und Me-too-Affären.

Diese Unzufriedenheit schlägt sich vor allem im Erfolg der neuen dritten Kraft im Lande nieder: der Taiwanischen Volkspartei (TPP). Die erst 2019 gegründete TPP errang unter der Führung des ehemaligen Bürgermeisters von Taipeh, Ko Wen-je, bei der Präsidentenwahl beachtliche 26,5 Prozent.
Während sich die etablierten Parteien DPP und KMT stark über ihre Haltung zu China definieren, bleibt die TPP hier vage – und adressiert dafür mehr die Alltagssorgen. “Innenpolitisch wird es messy. Es wird weniger Vorhersehbarkeit geben, auch mehr Blockaden“, sagt Perkuhn. “Lai und die DPP werden um jedes Gesetz hart verhandeln und dabei sicherlich auch Zugeständnisse an die chinafreundliche KMT machen müssen, vor allem im Wirtschaftsbereich.”
Doch diese Spaltung zeigt auch, wie gewachsen Taiwans Demokratie inzwischen ist. In anderen Ländern ist es fast schon gängige Praxis, dass die Wähler nach einigen Wahlperioden bei einer Teilwahl ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung zum Ausdruck bringen und damit politische Gegensätze zwischen Verfassungsorganen schaffen. Im Falle Taiwans kann hier das Ausland ansetzen – im Positiven wie im Negativen.
Die Führung in Peking wird versuchen, die Spaltung für sich zu nutzen und weiter Einfluss zu nehmen. “Der geteilte Legislativ-Yuan bietet Peking die Möglichkeit, seinen stillen Einfluss weiter auszubauen”, sagt Perkuhn. Das gelinge vor allem auf zwei Ebenen: in der Regionalpolitik, wenn auf lokale Politiker eingewirkt wird oder über soziale Medien, wo schnell eine bestimmte Stimmung erzeugt werden kann.
Die Chance für Europa: Lai und die DPP setzen weiter auf die internationale Einbindung Taiwans. Das gilt vor allem in Richtung USA, dem stärksten und traditionell engsten Partner Taiwans. Aber auch für die EU und Deutschland bieten sich hier große Chancen, sagt Perkuhn. “Die DPP setzt klar auf Europa als Partner.”
Themen für die Partnerschaft seien:
Kurz vor der Wahl habe Taiwans Regierung dazu zwei große Programme beschlossen: “Beide Initiativen zielen ganz klar auf Europa”, sagt Perkuhn.
Die EU scheint willens, die Zusammenarbeit auszubauen. “Wir sind uns mit Taiwan einig, dass der Status Quo in den Beziehungen nicht einseitig und schon gar nicht mit Gewalt verändert werden darf”, sagt dazu Michael Gahler, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion und Vorsitzender der Taiwan-Freundschaftsgruppe des EU-Parlaments. “Im Rahmen des Möglichen werden wir den Ausbau der Beziehungen betreiben. Als Europäisches Parlament haben wir seit langem den Abschluss eines bilateralen Investitionsabkommens gefordert.”

In eher nüchternem Ton kommentierte Chinas Büro für Taiwan-Angelegenheiten kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses der taiwanischen Präsidentschaftswahlen den Wahlsieg William Lais: “Taiwan ist Chinas Taiwan.” Die “Wiedervereinigung Chinas” sei unvermeidlich.
Den neuen Präsidenten nannte das Taiwan-Büro der Volksrepublik nicht beim Namen. Das Büro, das dem chinesischen Staatsrat untersteht, verwies lediglich auf die Ablehnung von “separatistischen Aktivitäten, die auf die ‘Unabhängigkeit Taiwans’ abzielen”. Die Stellungnahme war vergleichbar mit früheren Äußerungen nach den Wahlsiegen der amtierenden Präsidentin Tsai Ing-wen. Eine Eskalation der Spannungen ist hier also zunächst nicht erkennbar.
Im Anschluss an die Wahlen erreichte am Sonntagabend eine Delegation ehemaliger hochrangiger US-Regierungsbeamter Taiwan. Gemeinsam mit Laura Rosenberger, der Vorsitzenden der US-Vertretung in Taiwan (dem American Institute Taipei) wollen sie eine Reihe führender taiwanischer Politiker treffen. Die Delegation reist nicht im Namen der US-Regierung.
Bereits am Samstagabend hatte US-Außenminister Antony Blinken über X (vormals Twitter) William Lai zu seinem Wahlsieg gratuliert. Das chinesische Außenministerium sprach hierzu von einem “falschen Signal” und einem Bruch der Zusicherung, keine offiziellen politischen Beziehungen mit der taiwanischen Regierung aufzubauen und kritisierte auch weitere Staaten für ihre positiven Reaktionen auf die Wahlen in Taiwan, darunter Japan.
Auch Deutschland meldete sich mit Glückwünschen, ging aber nicht so weit wie Blinken, der Lai beim Namen nannte und bezeichnete die Wahl als Präsidentschaftswahl. Das Auswärtige Amt gratulierte dagegen nur “den Gewählten”, vermied das Wort “Präsident” und entging möglicherweise damit der Kritik Pekings. “Wir gratulieren allen Wählerinnen und Wählern, den Kandidatinnen und Kandidaten, die an diesen Wahlen teilgenommen haben, sowie den Gewählten”, teilte das Auswärtige Amt wörtlich mit.
Das alles hat mit einer gewissen Vorsicht gegenüber China zu tun, die auch aus dem folgenden Satz spricht: “Deutschland unterhält in vielen Bereichen enge und gute Beziehungen mit Taiwan und möchte diese, im Einklang mit der deutschen Ein-China-Politik, weiter ausbauen.” Die Ein-China-Politik wird also sofort nach den guten Beziehungen genannt.
In den vergangenen Monaten hatten die chinesischen Behörden William Lai wiederholt als “gefährlichen Separatisten” bezeichnet. Die Kommunistische Partei wird aller Voraussicht nach auch unter Präsident Lai keinen Dialog mit der taiwanischen Regierung führen. Eine explizite militärische Reaktion Chinas auf den Wahlausgang gab es bislang nicht. Expertinnen und Experten vor Ort erwarten das auch nicht.
Statt umfassenden Militärmanövern erwarten viele Beobachter, dass China vor allem seine Strategie hybrider Konfliktführung gegenüber Taiwan fortsetzen und intensivieren wird. Statt eines großen Militäreinsatzes führt der Angreifer dabei viele kleine Operationen durch. Immer häufigeren Einsätze von Luftwaffe und Marine über taiwanisch kontrolliertem Gebiet sollen die Bewohner der Insel demoralisieren. Hacker-Angriffe gehören ebenso dazu wie Desinformationen auf sozialen Medien.
Schon in den vergangenen Wochen hatte China unter anderem durch die gezielte Verbreitung von Falschinformationen über Politikerinnen und Politikern und anti-amerikanischen Verschwörungserzählungen in sozialen Netzwerken versucht, Einfluss auf den Ausgang der Wahlen zu nehmen. Parallel dazu kommen Lockangebote von stärkerer wirtschaftlicher Einbindung.
Künftig könnte auch die geschwächte Position der DPP und die politische Zersplitterung innerhalb Taiwans ein Einfallstor politischer Manipulation werden. So verwies das Büro für Taiwan-Angelegenheiten in seiner Stellungnahme zum Wahlausgang auch darauf, die DPP “repräsentiere nicht die Mehrheitsmeinung der taiwanischen Gesellschaft”. Vonseiten eines Staates, in dem keine Wahlen stattfinden, klingt das fast ironisch, ist aber ernst gemeint.
Chinas Vorgehen steht auch im Kontext seiner Beziehungen zu den USA. Nach Einschätzung von Lin Ying-yu vom Institute of International Affairs and Strategic Studies der Tamkang Universität in Taipeh will China die Führung in Washington nicht durch offene Aggression dazu verleiten, Taiwan noch stärker zu unterstützen. Insbesondere wolle China vermeiden, dass militärische Zusicherungen gegenüber Taiwan in den USA in diesem Jahr zum Wahlkampfthema werden.
Erfolg könnte die verdeckte Einflussnahme Chinas in Taiwan vor allem auf lokalpolitischer Ebene haben. Nach den Parlamentswahlen stammt zukünftig ein Großteil der 52 Parlamentsabgeordneten der eher chinafreundlichen Kuomintang-Partei aus den Wahlkreisen und nicht von der durch die KMT-Führung bestimmten Parteiliste.
China versucht tendenziell, solche der Parteiführung eher fernstehende Abgeordnete sowie kommunale Politiker zu beeinflussen. Vor den Wahlen hatten chinesische staatlich gelenkte Organisationen unter anderem Hunderte Stadtteilsprecher aus ganz Taiwan zu gesponsorten Reisen nach China eingeladen.
Die DPP hat zur Entgegnung chinesischer Einflussnahme Puma Shen über die Parteiliste ins Parlament geholt. Shen ist Vorsitzender der Organisation Doublethink Lab, die Taiwans digitale Sicherheit stärken will. Er hat auch die Kuma Academy gegründet, die die taiwanische Zivilbevölkerung auf einen Konflikt mit China vorbereitet.
Für die KMT ist unter anderem Admiral Chen Yeong-kang, ehemaliger Generalkommandeur der Marine, ins Parlament eingezogen. Er könnte für die KMT eine Schlüsselrolle bei der Formulierung einer militärischen Strategie gegenüber China spielen. Leonardo Pape, Mitarbeit: fin, mit dpa
Der Absatz des Autobauers Porsche wuchs 2023 in vielen Regionen der Welt. In China, dem wichtigsten Automarkt, brach er allerdings ein. Wie der Konzern am Freitag mitteilte, verkaufte Porsche in den vergangenen zwölf Monaten 320.221 Fahrzeuge – 3,3 Prozent mehr als 2022. Nach China seien nur 79.283 Wagen ausgeliefert worden. Das entspricht einem Minus von rund 15 Prozent. Damit löst Nordamerika die Volksrepublik als wichtigsten Einzelmarkt für die Stuttgarter ab.
Für den Rückgang verantwortlich macht Porsche die herausfordernde Wirtschaftslage in der Region. “Umso wichtiger ist es, dass wir unsere Absatzstruktur weiter ausbalancieren und unsere Überseeregionen, insbesondere in den Asean-Märkten, stärken”, sagte Vertriebschef Detlev von Platen. Er setzt also auf klassische Diversifizierung. Insgesamt geht er von einem stabilen Absatz für 2024 aus.
Anderen deutschen Autobauern erging es im vergangenen Jahr etwas besser als Porsche. BMW verzeichnete mit den Marken BMW und Mini in China ein Plus von gut vier Prozent. VW-Tochter Audi erreichte ein Plus von 13 Prozent. Mercedes-Benz musste ebenfalls Einbußen hinnehmen. Der Konzern verkaufte zwei Prozent weniger Autos in China als im Jahr davor. Insgesamt bleiben die Zukunftsaussichten in China für alle deutschen Autobauer kritisch. Während sie bei den Benzinern gemessen am Absatz immer noch zu den führenden Auto-Unternehmen in China gehören, sind sie bei E-Autos abgeschlagen. Dort dominieren längst lokale Anbieter wie BYD. fpe
China hat erfolgreich zwischen Rebellengruppen und dem Militär in Myanmar vermittelt. Wie Mao Ning, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums mitteilte, haben sich beide Seiten auf eine Waffenruhe sowie den “Abzug der Armee und die Lösung relevanter Streitigkeiten durch Verhandlungen” geeinigt. Auch haben die Vertreter der Militärjunta und der Milizen zugesagt, die Sicherheit der im Grenzgebiet lebenden Chinesen zu gewährleisten.
Zuletzt hatte sich die Lage im Grenzgebiet zwischen China und Myanmar weiter verschärft. Vor einer Woche hatte ein Rebellenbündnis die 23.000 Einwohner-Stadt Laukkai an der Nordgrenze zu China erobert. Am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche hatten sich Vertreter beider Seiten dann in Kunming in der chinesischen Provinz Yunnan getroffen, um unter Vermittlung Chinas einen Waffenstillstand auszuhandeln.
“Wir werden die Gespräche fortsetzen und uns weiter für einen Waffenstillstand einsetzen”, erklärte Generalmajor Zaw Min Tun, Sprecher des regierenden Militärrates in Myanmar, laut einem Bericht der Deutschen Welle. Für welche Gebiete die vorübergehende Feuerpause gilt, ist nicht bekannt. Berichten der NZZ zufolge ist der Waffenstillstand unterdessen bereits brüchig. “Die Angriffe des Militärs mit schweren Waffen und Luftangriffen gingen nach dem Abkommen unverändert weiter”, zitiert die Zeitung einen Vertreter der “Drei-Bruder-Allianz”, einem Zusammenschluss dreier Rebellengruppen. fpe

Liu Zhenmin ist der neue Klimabeauftragte Chinas. Das teilte das Pekinger Umweltministerium am Freitag mit. Liu folgt auf den international als “Klimazar” bekannten Xie Zhenhua. Dieser zieht sich mit 74 Jahren nun nach vielen Jahren aus dem Amt zurück. Der 68-jährige Liu war Xies engster Berater auf der Klimakonferenz COP28 in Dubai gewesen und verfügt über langjährige Erfahrung in der Klimadiplomatie. So war er schon 1997 an den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll und 2015 an Gesprächen für das Pariser Klima-Abkommen beteiligt
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Xie spricht Liu Zhenmin fließend Englisch. Auch hat er internationale Erfahrung. Von 2017 bis 2022 war er UN-Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UN-DESA), wo er unter anderem auch für Klimafragen zuständig war. Davor war er zuletzt Chinas Vize-Außenminister gewesen. “Das Endergebnis der Klimakonferenz zeigt, dass man sich darüber im Klaren ist, dass die Bekämpfung des Klimawandels keine rhetorische Übung sein kann, sondern eine echte Reaktion aller Länder erfordert“, sagte Liu zum Ende der COP28.
Xies langjährige Beziehungen zu seinen US-Counterparts – derzeit der Klimabeauftragte und frühere Außenminister John Kerry – haben eine wichtige Rolle bei der Konsensfindung auf den Klimakonferenzen gespielt. Laut dem Umweltministerium hört Xie aus gesundheitlichen Gründen auf. Es war bereits vor der COP28 durchgesickert, dass Xie nach der Konferenz aufhören würde.
Laut der vierten Nationalen Mitteilung an die UNO muss China zwischen 2021 und 2060 etwa 324 Billionen Yuan (knapp 42 Billionen Euro) ausgeben, um seine Klimaziele zu erreichen, wie die China Daily vergangene Woche berichtete. Das entspreche dem 2,7-fachen seines BIP von 2022. Die Länder müssen alle vier Jahre eine solche Mitteilung vorlegen; Chinas letzte stammt von 2019. ck

Das Spektakel der nationalen Wahlen ist vorbei. Ihr Ausgang entspricht weitgehend den zuvor angestellten Prognosen, weist jedoch auch einige Überraschungen auf: Lai Ching-te von der Demokratischen Fortschrittspartei (DFP) wurde seiner Favoritenrolle gerecht und gewann die Präsidentschaftswahlen, wenn auch nur einem Stimmenanteil von 40,5 Prozent – mehr als 17 Prozentpunkte weniger als seine Vorgängerin Tsai Ing-wen vier Jahre zuvor erreichen konnte. Doch es ist genug, um das erste Mal einer regierenden Partei eine dritte Amtsperiode im Präsidentenpalast zu sichern. Hou You-yi, der KMT-Bewerber, scheiterte mit 33,5 Prozent deutlich, während Ko Wen-je, der Kandidat der 2019 von ihm selbst gegründeten Taiwan People Party (TPP), einen in dieser Höhe von den meisten Beobachtern nicht erwarteten Stimmenanteil von 26,5 Prozent erreichte.
Die zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen entschied die KMT knapp für sich: Sie gewann 14 Mandate hinzu, verfehlte allerdings mit insgesamt 52 Sitzen die angestrebte absolute Mehrheit im 113 Sitze umfassenden Legislativ-Yuan (LY) klar. Diese Mehrheit büßte die DFP genauso klar ein: Sie verlor 10 Mandate und hält im neuen LY nur noch 51 Sitze. Die TPP ist zweifellos der große Gewinner der Parlamentswahlen: Zwar gewann sie lediglich drei Mandate hinzu und hält nunmehr acht Sitze; doch damit kann sie sich in den kommenden Jahren als “Zünglein an der Waage” profilieren, wenn es um die Verabschiedung von Gesetzen geht. Die schweren Stimmeneinbußen der regierenden DFP kamen vor allem der TPP zugute. Diese profilierte sich im Wahlkampf als Alternative zum “blauen” und “grünen” Lager, also zur etablierten und als erstarrt empfundenen Konfrontation zwischen KMT und DFP. Damit sprach sie vor allem die jüngeren Wählerschichten an, die dem politischen Establishment in Taiwan inzwischen sehr kritisch gegenüberstehen und auf den “unverbrauchten” und volksnahen Ko Wen-je bzw. sein “weißes” Lager setzten.
So wird der neue Präsident Lai in den kommenden Jahren eine Regierung führen, die sich auf keine parlamentarische Mehrheit stützen kann. Da es in Taiwan weder eine Tradition der Koalitionsbildung oder geduldeter Minderheitsregierungen, etwa nach dem Muster der französischen cohabitation, gibt, droht nun eine politische Paralyse – wie schon zwischen 2000 und 2008, als der damalige Präsident Chen Shui-bian mit einer absoluten Mehrheit der KMT im Legislativ-Yuan fertigwerden musste. Angesichts von nunmehr drei Parteien im Legislativ-Yuan stellt sich die Situation in den kommenden vier Jahren allerdings etwas anders dar.
Was ist vom Ausgang dieser nationalen Wahlen für die taiwanische Außen- bzw. Chinapolitik sowie in innenpolitischer Hinsicht zu erwarten? Mit Blick auf Peking dürfte es sicherlich keine Entspannung geben, aber auch keine wesentliche Verschlechterung der bilateralen Beziehungen. Die chinesische Taiwanpolitik hat sich spätestens mit der Rede von Xi Jinping im Januar 2019 von der innertaiwanischen Dynamik abgekoppelt und kreist in ihrem eigenen Orbit. Damals verengte Xi die Zukunft Taiwans auf die Formel “ein Land, zwei Systeme” nach Maßgabe des Hongkonger Modells und verneinte damit implizit die taiwanische Interpretation des “Konsensus von 1992” – also jenes Formelkompromisses, der für die KMT weiterhin die Grundlage für Verhandlungen zwischen Peking und Taipei sein soll: Bei Seiten bekennen sich zur Zugehörigkeit Taiwans zu einem einzigen “China”, akzeptieren aber die Tatsache unterschiedlicher Vorstellungen davon, welcher Staat dieses “China” repräsentiert.
Für Xi Jinping steht die Inkorporierung Taiwans in die chinesische Volksrepublik nicht infrage, sondern nur der Vollzugszeitpunkt; und er suggeriert, dass dieser nicht mehr weit in der Zukunft liege. Ob in Taiwan ein DFP- oder KMT-Politiker im Präsidentenpalast sitzt, ist deshalb weitgehend irrelevant. Diesen Tatbestand ignorierte die KMT in ihrem Wahlkampf wissentlich und versuchte die taiwanische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie es trotzdem erreichen könne, mit Peking zu reden und damit Spannungen abzubauen. Vielleicht – aber so wird es nun nicht kommen. Der chinesische Staatsrat veröffentlichte noch am Wahlabend ein kurzes Statement mit der realitätsverweigernden Botschaft, dass auch diese Wahlen nichts am Lauf der Geschichte und am Willen der taiwanischen Bevölkerung ändern könnten, dass Taiwan nach zu China zurückkehren werde – ein Statement ohne Überraschungen, aber auch ohne besondere Schärfe.
Die Dynamik der sino-taiwanischen Beziehungen wird ohnehin kaum mehr durch die innertaiwanischen Geschehnisse bestimmt, sondern durch das Verhältnis zwischen Washington bzw. dem “Westen” und Peking. Die Präsidentschaftswahl auf der Insel insofern als “nationale Schicksalswahl” darzustellen, ein Gemeinplatz in der internationalen Medienlandschaft der vergangenen Wochen, ging insofern an der Realität vorbei. Wenn es für Taiwan überhaupt eine “Schicksalswahl” gibt, dann wird es die Präsidentschaftswahl in den USA im kommenden November sein.
Der interessanteste Aspekt dieser Wahlen liegt in der zukünftigen Arbeit im Parlament: Wie wird der neue Präsident die KMT und TPP ansprechen, um seine Gesetzesinitiativen durchzubringen? Wie wird sich die TPP verhalten? Wird sie die Rolle eines “flexiblen Mehrheitsbeschaffers” spielen oder sich aber auf die Duldung einer DFP-Minderheitsregierung einlassen? Werden KMT und DFP versuchen, in Sachfragen zu kooperieren – und damit der TPP eben nicht die Rolle eines “Züngleins an der Waage” überlassen? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt einiges für die Zukunft der taiwanischen Demokratie und des politischen Systems ab.
Dieses System ist inzwischen in einer ritualisierten, pseudo-ideologischen Gegnerschaft zwischen KMT und DFP erstarrt und verhindert einen substanziellen politischen Diskurs über Lösungsansätze für Probleme, die die Bevölkerung unmittelbar interessieren – v.a. in der Wirtschafts-, Wohnungs- und Energiepolitik. Ohne Ausbildung eines klaren sachpolitischen Profils werden die etablierten Parteien vor allem die Jugend zunehmend verlieren und damit der Gefahr populistischer Strömungen zuarbeiten, die man durchaus auch in Taiwan erkennen kann.
Die nächsten vier Jahre werden also spannend. In jedem Fall hat Taiwan einmal mehr die Vitalität seiner Demokratie bewiesen und die Entschiedenheit, sich durch chinesischen Druck nicht vom eigenen Weg abbringen zu lassen. Es kommt weiterhin vor allem auf die Machthaber in Peking an, ob sich die Lage in der Taiwanstraße weiter zuspitzt oder der Konflikt zumindest “eingefroren” werden kann.
Gunter Schubert ist Professor für Greater China Studies Asien-Orient-Institut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und leitet das European Research Center on Contemporary Taiwan (ERCCT), einer zentralen Einrichtung der Universität
Apollo Luo ist seit Dezember China Sales Director bei der Basler AG. Luo hat langjährige Erfahrung als Country Manager in China. Für das Unternehmen aus Ahrensburg übersieht er den Markt digitale Industriekameras und andere Anwendungen des maschinellen Sehens.
Silvia Ding ist seit Januar Managing Director bei Maersk Greater China. Ding ist seit mehr als 24 Jahren für das dänische Logistik-Unternehmen in China und Europa tätig. Für ihren neuen Posten wechselt sie nach sieben Jahren in Kopenhagen nach Shanghai.
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Sie denken bei Bürsten vor allem an Zahn-, Haar- und Schuhbürsten? Oder an allerlei andere borstige Instrumentarien, die für Glanz und Glätte in ihrer Umgebung sorgen? Dann könnte ein Blick in den chinesischen Alltagsjargon Ihre metaphorischen Verzahnungen noch einmal ordentlich durchbürsten. Denn beim Surfen am Smartphone trifft man in China gelegentlich auch auf “Bildschirmbürsten”. Sauberkeitsfanatiker sollten jetzt nicht überstürzt in Ekstase geraten. Denn die gemeinten Screen-Schrubber bürsten erstens nur virtuell und gehen zweitens ihren Mitmenschen meist ordentlich auf den Schrubber.
Den “Bildschirm durchbürsten” (刷屏 shuāpíng von 刷 shuā “bürsten” und 屏 píng oder 屏幕 píngmù “Bildschirm, Monitor, Leinwand”, auf Deutsch “den Screen zupflastern”) bezeichnet im Mandarin die Rowdy-Marotte, in der virtuellen Welt in kurzer Zeit Unmengen (und zudem meist redundanten) Posting-Ballast auf dem Screen der Mitmenschen abzuladen.
Kleiner Selbsttest gefällig? Los geht’s: Sie können im Urlaub nicht an sich halten und stellen alle paar Minuten eine neue Foto-Nuance des Sonnenuntergangs in Ihren Status? Sie sind stolzer Startup-Gründer und setzen täglich über all Ihre Social-Media-Kanäle Werbeposts ab, um auf Ihre neuesten Coups aufmerksam zu machen? Sie lassen Ihrem Gefühls- und Gedankenstrom gern hemmungslos freien Lauf und ergießen ihn in Form von ellenlangen Textnachrichten in fremden Chatfenstern, sodass ihr Kontakt ewig scrollen muss, bis er zum Ende der Message gelangt? Oder – Worst Case: Sie betreiben einen Onlineshop und pflastern den lieben langen Tag die WeChat-Moments oder Facebook-Timelines Ihrer privaten Kontakte mit Angeboten und Schnäppchen zu, sodass alle anderen Statusmeldungen im Warenmeer untergehen? Sie haben mindestens eine dieser Fragen mit “ja” beantwortet? Dann herzlichen Glückwunsch! Aus chinesischer Sicht sind Sie eine echte Bildschirmbürste.
Wer die chinesische Alltagssprache aufmerksam durchkämmt, wird außerdem feststellen, dass hier neben Zähnen (刷牙 shuāyá), Schuhen (刷鞋 shuāxié), Böden (刷地板 shuā dìbǎn) und Töpfen und Pfannen (刷锅 shuāguō) noch so einiges anderes gebürstet und geschrubbt wird, mit dem man nicht gerechnet hätte. Zum Beispiel beim Einsatz von Bankkarten (刷卡 shuākǎ / 刷信用卡 shuā xìnyòngkǎ – “mit Karte / Kreditkarte bezahlen”, oder auch “eine Karte / Kreditkarte durchziehen / über den Scanner ziehen”). Ein anderes Bürstenbeispiel: Gesichter beim Face-Scan (刷脸 shuāliǎn – “das Gesicht scannen”, wörtlich “das Gesicht bürsten”), etwa beim kontaktlosen Bezahlen (刷脸支付 shuāliǎn zhīfù – “per Face-Scan bezahlen”). Fans der Kartenzahlung nennt man in China übrigens liebevoll 刷卡族 shuākǎzú – “Kartenbürstvölkchen”.
Zieht Sie dagegen ein Kreditkartenbetrüger über den Tisch und fegt Ihnen heimlich das Konto leer, wurden Sie “geraubbürstet”, wie der Chinese sagen würde (盗刷信用卡 dàoshuā xìnyòngkǎ – “Kreditkartenbetrug betreiben / eine fremde Kreditkarte betrügerisch zur Zahlung verwenden”). Übertreiben Sie es hingegen selbst mit der Kaufwut, laufen Sie Gefahr, Ihr Kreditkartenlimit wund- oder gar “zur Explosion” zu scheuern (刷爆信用卡 shuābào xìnyòngkǎ – “das Kreditkartenlimit sprengen”). Langfristig stürzen Sie sich damit wohl in den Ruin. Kurzfristig aber dürften Sie sich so zum heißen Konsumfeger stilisieren, sprich ordentlich Aufmerksamkeit auf sich bürsten (auf Chinesisch: 刷存在感 shuā cúnzàigǎn – “sich wichtigmachen / nach Aufmerksamkeit heischen”).
Deutlich sparsamer ist es da, einfach den ganzen Tag das Handy zu bürsten (刷手机 shuā shǒujī – “auf dem Handy swipen / herumscrollen; am Handy hängen”). Zum Beispiel, indem Sie sich von einem Kurzvideo zum nächsten schrubben (刷短视频 shuā duǎnshìpín – “sich Kurzvideos reinziehen”) oder sich am laufenden Band Serien reinbürsten (刷剧 shuājù – “sich pausenlos TV- oder Streaming-Serien reinziehen”, auf Neudeutsch auch “binge-watching”).
Sollte man Ihnen derweil in China mit Fingerzeig auf Ihre Hände mitteilen, Sie hätten da aber “zwei Bürsten”, fühlen Sie sich bitte nicht auf den Schlips getreten! Man hat Ihnen nämlich gerade das Ego gestriegelt. Zwei Bürsten zu haben (有两把刷子 yǒu liǎng bǎ shuāzi) will nicht etwa heißen, man habe zwei linke Hände. Im Gegenteil. Es ist im Chinesischen ein Synonym für handwerkliches Geschick.
Beispiel: 他自己会修车, 真有两把刷子。 Tā zìjǐ huì xiūchē, zhēn yǒu liǎng bǎ shuāzi. – “Er kann selbst Autos reparieren. Er ist wirklich handwerklich begabt.”
Ein Exempel, das uns einmal mehr daran erinnert, dass wir unser Vokabular für idiomatische Interaktionen weiter rausputzen sollten. Denn chinesische und deutsche Bildsprache lässt sich längst nicht immer über einen Kamm scheren. So viel steht fest.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
William Lai hat einen schweren Job. Nach innen wird Taiwans künftiger Präsident es mit der erstarkten Opposition zu tun haben, die das Parlament dominiert. Wenn er wissen möchte, wie viel Spaß Koalitionsregierungen machen, kann er bei Deutschlands aktuellen und ehemaligen Regierungschefs nachfragen, die haben bekanntlich reichlich Erfahrung damit. Michael Radunski analysiert die neue innenpolitische Lage in Taiwan.
Nach außen hat Lai es mit einem China zu tun, das die Insel in der Umklammerung einer hybriden Strategie hält: militärische Drohungen plus den Aufbau von Abhängigkeiten. Mit dem Sieg das China-kritischen Lai hat Peking auch keinen Grund mehr, eine freundliche Miene zu machen. Leonardo Pape beschreibt, wie China reagiert und wie sich die Beziehungen zwischen Taiwan und China nun entwickeln könnten.
In eigener Sache: Wenn Sie die Inhalte von Table.Media nicht nur lesen möchten, sondern auch hören, empfehlen wir unseren neuen Podcast Table.Today. Heute um sechs Uhr geht es los mit einem Gespräch unseres neuen Chefredakteurs Michael Bröcker mit Bundesfinanzminister Christian Lindner. Auch China wird bei Table.Today immer wieder Thema sein.
Einen starken Start in die Woche wünscht

Lai Ching-te (William Lai) wird Taiwans neuer Präsident. Doch Lai und seine DPP müssen auch eine herbe Niederlage einstecken: Im Parlament, dem Legislativ-Yuan, verlor die Regierungspartei ihre bisherige Mehrheit. Hier ist nun die KMT die stärkste Kraft mit 52 Sitzen. Erst dann folgt die DPP mit einem Sitz weniger.
Die beiden unterschiedlichen Ergebnisse spiegeln einen Spagat der Wähler wider: Mit Lai als Präsident will man – vor allem in Bezug auf China – den Status quo beibehalten. Hier setzt Lai auf kulturelle und wirtschaftliche Eigenständigkeit, politische Souveränität und militärische Abschreckung. Die neuen Mehrheiten im Parlament bringen hingegen die innenpolitische Unzufriedenheit der Taiwaner zum Ausdruck.

Die Folge: Es wird kompliziert. Lai wird in den kommenden vier Jahren schwierige Kompromisse eingehen müssen. Das birgt Gefahren: China wird versuchen, diese Spaltung auszunutzen. Es bieten sich aber auch Chancen: Lais DPP setzt auf die internationale Anbindung Taiwans – traditionell an die USA, vermehrt aber auch an die EU.
Schon am Wahlabend zeigte Lai, welcher Balanceakt ihm bevorsteht. “Als Präsident habe ich eine große Verantwortung, Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße aufrechtzuerhalten”, sagte der Wahlsieger. Gleichzeitig sei er aber fest entschlossen, Taiwan gegen die anhaltenden Drohungen aus China zu verteidigen: “Taiwan hat sich nicht an irgendwelchen provokativen Handlungen beteiligt. Wir wollen lediglich unseren demokratischen Lebensstil beibehalten.” Doch Demokratie bedeutet eben auch, dass man seine komfortable Parlamentsmehrheit verlieren kann, wenn die Bürger mit der aktuellen Politik unzufrieden sind.
“Von außen sehen wir vor allem Taiwans Verhältnis zu China als entscheidendes Thema. Durchaus zu Recht, angesichts der geopolitischen Wichtigkeit”, sagt die auf Taiwan spezialisierte Sinologin Josie-Marie Perkuhn von der Universität Trier. Perkuhn ist derzeit in Taiwan und erklärt: “In Taiwan selbst sind jedoch die innenpolitischen Probleme für die Wahlentscheidung wichtiger.” Und hier gibt es etliche Probleme: zu niedrige Löhne und zu hohe Lebenshaltungskosten. Zu teure Wohnungen und zu lange Arbeitszeiten. Hinzu kommen immer wieder Korruptions- und Me-too-Affären.

Diese Unzufriedenheit schlägt sich vor allem im Erfolg der neuen dritten Kraft im Lande nieder: der Taiwanischen Volkspartei (TPP). Die erst 2019 gegründete TPP errang unter der Führung des ehemaligen Bürgermeisters von Taipeh, Ko Wen-je, bei der Präsidentenwahl beachtliche 26,5 Prozent.
Während sich die etablierten Parteien DPP und KMT stark über ihre Haltung zu China definieren, bleibt die TPP hier vage – und adressiert dafür mehr die Alltagssorgen. “Innenpolitisch wird es messy. Es wird weniger Vorhersehbarkeit geben, auch mehr Blockaden“, sagt Perkuhn. “Lai und die DPP werden um jedes Gesetz hart verhandeln und dabei sicherlich auch Zugeständnisse an die chinafreundliche KMT machen müssen, vor allem im Wirtschaftsbereich.”
Doch diese Spaltung zeigt auch, wie gewachsen Taiwans Demokratie inzwischen ist. In anderen Ländern ist es fast schon gängige Praxis, dass die Wähler nach einigen Wahlperioden bei einer Teilwahl ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung zum Ausdruck bringen und damit politische Gegensätze zwischen Verfassungsorganen schaffen. Im Falle Taiwans kann hier das Ausland ansetzen – im Positiven wie im Negativen.
Die Führung in Peking wird versuchen, die Spaltung für sich zu nutzen und weiter Einfluss zu nehmen. “Der geteilte Legislativ-Yuan bietet Peking die Möglichkeit, seinen stillen Einfluss weiter auszubauen”, sagt Perkuhn. Das gelinge vor allem auf zwei Ebenen: in der Regionalpolitik, wenn auf lokale Politiker eingewirkt wird oder über soziale Medien, wo schnell eine bestimmte Stimmung erzeugt werden kann.
Die Chance für Europa: Lai und die DPP setzen weiter auf die internationale Einbindung Taiwans. Das gilt vor allem in Richtung USA, dem stärksten und traditionell engsten Partner Taiwans. Aber auch für die EU und Deutschland bieten sich hier große Chancen, sagt Perkuhn. “Die DPP setzt klar auf Europa als Partner.”
Themen für die Partnerschaft seien:
Kurz vor der Wahl habe Taiwans Regierung dazu zwei große Programme beschlossen: “Beide Initiativen zielen ganz klar auf Europa”, sagt Perkuhn.
Die EU scheint willens, die Zusammenarbeit auszubauen. “Wir sind uns mit Taiwan einig, dass der Status Quo in den Beziehungen nicht einseitig und schon gar nicht mit Gewalt verändert werden darf”, sagt dazu Michael Gahler, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion und Vorsitzender der Taiwan-Freundschaftsgruppe des EU-Parlaments. “Im Rahmen des Möglichen werden wir den Ausbau der Beziehungen betreiben. Als Europäisches Parlament haben wir seit langem den Abschluss eines bilateralen Investitionsabkommens gefordert.”

In eher nüchternem Ton kommentierte Chinas Büro für Taiwan-Angelegenheiten kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses der taiwanischen Präsidentschaftswahlen den Wahlsieg William Lais: “Taiwan ist Chinas Taiwan.” Die “Wiedervereinigung Chinas” sei unvermeidlich.
Den neuen Präsidenten nannte das Taiwan-Büro der Volksrepublik nicht beim Namen. Das Büro, das dem chinesischen Staatsrat untersteht, verwies lediglich auf die Ablehnung von “separatistischen Aktivitäten, die auf die ‘Unabhängigkeit Taiwans’ abzielen”. Die Stellungnahme war vergleichbar mit früheren Äußerungen nach den Wahlsiegen der amtierenden Präsidentin Tsai Ing-wen. Eine Eskalation der Spannungen ist hier also zunächst nicht erkennbar.
Im Anschluss an die Wahlen erreichte am Sonntagabend eine Delegation ehemaliger hochrangiger US-Regierungsbeamter Taiwan. Gemeinsam mit Laura Rosenberger, der Vorsitzenden der US-Vertretung in Taiwan (dem American Institute Taipei) wollen sie eine Reihe führender taiwanischer Politiker treffen. Die Delegation reist nicht im Namen der US-Regierung.
Bereits am Samstagabend hatte US-Außenminister Antony Blinken über X (vormals Twitter) William Lai zu seinem Wahlsieg gratuliert. Das chinesische Außenministerium sprach hierzu von einem “falschen Signal” und einem Bruch der Zusicherung, keine offiziellen politischen Beziehungen mit der taiwanischen Regierung aufzubauen und kritisierte auch weitere Staaten für ihre positiven Reaktionen auf die Wahlen in Taiwan, darunter Japan.
Auch Deutschland meldete sich mit Glückwünschen, ging aber nicht so weit wie Blinken, der Lai beim Namen nannte und bezeichnete die Wahl als Präsidentschaftswahl. Das Auswärtige Amt gratulierte dagegen nur “den Gewählten”, vermied das Wort “Präsident” und entging möglicherweise damit der Kritik Pekings. “Wir gratulieren allen Wählerinnen und Wählern, den Kandidatinnen und Kandidaten, die an diesen Wahlen teilgenommen haben, sowie den Gewählten”, teilte das Auswärtige Amt wörtlich mit.
Das alles hat mit einer gewissen Vorsicht gegenüber China zu tun, die auch aus dem folgenden Satz spricht: “Deutschland unterhält in vielen Bereichen enge und gute Beziehungen mit Taiwan und möchte diese, im Einklang mit der deutschen Ein-China-Politik, weiter ausbauen.” Die Ein-China-Politik wird also sofort nach den guten Beziehungen genannt.
In den vergangenen Monaten hatten die chinesischen Behörden William Lai wiederholt als “gefährlichen Separatisten” bezeichnet. Die Kommunistische Partei wird aller Voraussicht nach auch unter Präsident Lai keinen Dialog mit der taiwanischen Regierung führen. Eine explizite militärische Reaktion Chinas auf den Wahlausgang gab es bislang nicht. Expertinnen und Experten vor Ort erwarten das auch nicht.
Statt umfassenden Militärmanövern erwarten viele Beobachter, dass China vor allem seine Strategie hybrider Konfliktführung gegenüber Taiwan fortsetzen und intensivieren wird. Statt eines großen Militäreinsatzes führt der Angreifer dabei viele kleine Operationen durch. Immer häufigeren Einsätze von Luftwaffe und Marine über taiwanisch kontrolliertem Gebiet sollen die Bewohner der Insel demoralisieren. Hacker-Angriffe gehören ebenso dazu wie Desinformationen auf sozialen Medien.
Schon in den vergangenen Wochen hatte China unter anderem durch die gezielte Verbreitung von Falschinformationen über Politikerinnen und Politikern und anti-amerikanischen Verschwörungserzählungen in sozialen Netzwerken versucht, Einfluss auf den Ausgang der Wahlen zu nehmen. Parallel dazu kommen Lockangebote von stärkerer wirtschaftlicher Einbindung.
Künftig könnte auch die geschwächte Position der DPP und die politische Zersplitterung innerhalb Taiwans ein Einfallstor politischer Manipulation werden. So verwies das Büro für Taiwan-Angelegenheiten in seiner Stellungnahme zum Wahlausgang auch darauf, die DPP “repräsentiere nicht die Mehrheitsmeinung der taiwanischen Gesellschaft”. Vonseiten eines Staates, in dem keine Wahlen stattfinden, klingt das fast ironisch, ist aber ernst gemeint.
Chinas Vorgehen steht auch im Kontext seiner Beziehungen zu den USA. Nach Einschätzung von Lin Ying-yu vom Institute of International Affairs and Strategic Studies der Tamkang Universität in Taipeh will China die Führung in Washington nicht durch offene Aggression dazu verleiten, Taiwan noch stärker zu unterstützen. Insbesondere wolle China vermeiden, dass militärische Zusicherungen gegenüber Taiwan in den USA in diesem Jahr zum Wahlkampfthema werden.
Erfolg könnte die verdeckte Einflussnahme Chinas in Taiwan vor allem auf lokalpolitischer Ebene haben. Nach den Parlamentswahlen stammt zukünftig ein Großteil der 52 Parlamentsabgeordneten der eher chinafreundlichen Kuomintang-Partei aus den Wahlkreisen und nicht von der durch die KMT-Führung bestimmten Parteiliste.
China versucht tendenziell, solche der Parteiführung eher fernstehende Abgeordnete sowie kommunale Politiker zu beeinflussen. Vor den Wahlen hatten chinesische staatlich gelenkte Organisationen unter anderem Hunderte Stadtteilsprecher aus ganz Taiwan zu gesponsorten Reisen nach China eingeladen.
Die DPP hat zur Entgegnung chinesischer Einflussnahme Puma Shen über die Parteiliste ins Parlament geholt. Shen ist Vorsitzender der Organisation Doublethink Lab, die Taiwans digitale Sicherheit stärken will. Er hat auch die Kuma Academy gegründet, die die taiwanische Zivilbevölkerung auf einen Konflikt mit China vorbereitet.
Für die KMT ist unter anderem Admiral Chen Yeong-kang, ehemaliger Generalkommandeur der Marine, ins Parlament eingezogen. Er könnte für die KMT eine Schlüsselrolle bei der Formulierung einer militärischen Strategie gegenüber China spielen. Leonardo Pape, Mitarbeit: fin, mit dpa
Der Absatz des Autobauers Porsche wuchs 2023 in vielen Regionen der Welt. In China, dem wichtigsten Automarkt, brach er allerdings ein. Wie der Konzern am Freitag mitteilte, verkaufte Porsche in den vergangenen zwölf Monaten 320.221 Fahrzeuge – 3,3 Prozent mehr als 2022. Nach China seien nur 79.283 Wagen ausgeliefert worden. Das entspricht einem Minus von rund 15 Prozent. Damit löst Nordamerika die Volksrepublik als wichtigsten Einzelmarkt für die Stuttgarter ab.
Für den Rückgang verantwortlich macht Porsche die herausfordernde Wirtschaftslage in der Region. “Umso wichtiger ist es, dass wir unsere Absatzstruktur weiter ausbalancieren und unsere Überseeregionen, insbesondere in den Asean-Märkten, stärken”, sagte Vertriebschef Detlev von Platen. Er setzt also auf klassische Diversifizierung. Insgesamt geht er von einem stabilen Absatz für 2024 aus.
Anderen deutschen Autobauern erging es im vergangenen Jahr etwas besser als Porsche. BMW verzeichnete mit den Marken BMW und Mini in China ein Plus von gut vier Prozent. VW-Tochter Audi erreichte ein Plus von 13 Prozent. Mercedes-Benz musste ebenfalls Einbußen hinnehmen. Der Konzern verkaufte zwei Prozent weniger Autos in China als im Jahr davor. Insgesamt bleiben die Zukunftsaussichten in China für alle deutschen Autobauer kritisch. Während sie bei den Benzinern gemessen am Absatz immer noch zu den führenden Auto-Unternehmen in China gehören, sind sie bei E-Autos abgeschlagen. Dort dominieren längst lokale Anbieter wie BYD. fpe
China hat erfolgreich zwischen Rebellengruppen und dem Militär in Myanmar vermittelt. Wie Mao Ning, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums mitteilte, haben sich beide Seiten auf eine Waffenruhe sowie den “Abzug der Armee und die Lösung relevanter Streitigkeiten durch Verhandlungen” geeinigt. Auch haben die Vertreter der Militärjunta und der Milizen zugesagt, die Sicherheit der im Grenzgebiet lebenden Chinesen zu gewährleisten.
Zuletzt hatte sich die Lage im Grenzgebiet zwischen China und Myanmar weiter verschärft. Vor einer Woche hatte ein Rebellenbündnis die 23.000 Einwohner-Stadt Laukkai an der Nordgrenze zu China erobert. Am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche hatten sich Vertreter beider Seiten dann in Kunming in der chinesischen Provinz Yunnan getroffen, um unter Vermittlung Chinas einen Waffenstillstand auszuhandeln.
“Wir werden die Gespräche fortsetzen und uns weiter für einen Waffenstillstand einsetzen”, erklärte Generalmajor Zaw Min Tun, Sprecher des regierenden Militärrates in Myanmar, laut einem Bericht der Deutschen Welle. Für welche Gebiete die vorübergehende Feuerpause gilt, ist nicht bekannt. Berichten der NZZ zufolge ist der Waffenstillstand unterdessen bereits brüchig. “Die Angriffe des Militärs mit schweren Waffen und Luftangriffen gingen nach dem Abkommen unverändert weiter”, zitiert die Zeitung einen Vertreter der “Drei-Bruder-Allianz”, einem Zusammenschluss dreier Rebellengruppen. fpe

Liu Zhenmin ist der neue Klimabeauftragte Chinas. Das teilte das Pekinger Umweltministerium am Freitag mit. Liu folgt auf den international als “Klimazar” bekannten Xie Zhenhua. Dieser zieht sich mit 74 Jahren nun nach vielen Jahren aus dem Amt zurück. Der 68-jährige Liu war Xies engster Berater auf der Klimakonferenz COP28 in Dubai gewesen und verfügt über langjährige Erfahrung in der Klimadiplomatie. So war er schon 1997 an den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll und 2015 an Gesprächen für das Pariser Klima-Abkommen beteiligt
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Xie spricht Liu Zhenmin fließend Englisch. Auch hat er internationale Erfahrung. Von 2017 bis 2022 war er UN-Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UN-DESA), wo er unter anderem auch für Klimafragen zuständig war. Davor war er zuletzt Chinas Vize-Außenminister gewesen. “Das Endergebnis der Klimakonferenz zeigt, dass man sich darüber im Klaren ist, dass die Bekämpfung des Klimawandels keine rhetorische Übung sein kann, sondern eine echte Reaktion aller Länder erfordert“, sagte Liu zum Ende der COP28.
Xies langjährige Beziehungen zu seinen US-Counterparts – derzeit der Klimabeauftragte und frühere Außenminister John Kerry – haben eine wichtige Rolle bei der Konsensfindung auf den Klimakonferenzen gespielt. Laut dem Umweltministerium hört Xie aus gesundheitlichen Gründen auf. Es war bereits vor der COP28 durchgesickert, dass Xie nach der Konferenz aufhören würde.
Laut der vierten Nationalen Mitteilung an die UNO muss China zwischen 2021 und 2060 etwa 324 Billionen Yuan (knapp 42 Billionen Euro) ausgeben, um seine Klimaziele zu erreichen, wie die China Daily vergangene Woche berichtete. Das entspreche dem 2,7-fachen seines BIP von 2022. Die Länder müssen alle vier Jahre eine solche Mitteilung vorlegen; Chinas letzte stammt von 2019. ck

Das Spektakel der nationalen Wahlen ist vorbei. Ihr Ausgang entspricht weitgehend den zuvor angestellten Prognosen, weist jedoch auch einige Überraschungen auf: Lai Ching-te von der Demokratischen Fortschrittspartei (DFP) wurde seiner Favoritenrolle gerecht und gewann die Präsidentschaftswahlen, wenn auch nur einem Stimmenanteil von 40,5 Prozent – mehr als 17 Prozentpunkte weniger als seine Vorgängerin Tsai Ing-wen vier Jahre zuvor erreichen konnte. Doch es ist genug, um das erste Mal einer regierenden Partei eine dritte Amtsperiode im Präsidentenpalast zu sichern. Hou You-yi, der KMT-Bewerber, scheiterte mit 33,5 Prozent deutlich, während Ko Wen-je, der Kandidat der 2019 von ihm selbst gegründeten Taiwan People Party (TPP), einen in dieser Höhe von den meisten Beobachtern nicht erwarteten Stimmenanteil von 26,5 Prozent erreichte.
Die zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen entschied die KMT knapp für sich: Sie gewann 14 Mandate hinzu, verfehlte allerdings mit insgesamt 52 Sitzen die angestrebte absolute Mehrheit im 113 Sitze umfassenden Legislativ-Yuan (LY) klar. Diese Mehrheit büßte die DFP genauso klar ein: Sie verlor 10 Mandate und hält im neuen LY nur noch 51 Sitze. Die TPP ist zweifellos der große Gewinner der Parlamentswahlen: Zwar gewann sie lediglich drei Mandate hinzu und hält nunmehr acht Sitze; doch damit kann sie sich in den kommenden Jahren als “Zünglein an der Waage” profilieren, wenn es um die Verabschiedung von Gesetzen geht. Die schweren Stimmeneinbußen der regierenden DFP kamen vor allem der TPP zugute. Diese profilierte sich im Wahlkampf als Alternative zum “blauen” und “grünen” Lager, also zur etablierten und als erstarrt empfundenen Konfrontation zwischen KMT und DFP. Damit sprach sie vor allem die jüngeren Wählerschichten an, die dem politischen Establishment in Taiwan inzwischen sehr kritisch gegenüberstehen und auf den “unverbrauchten” und volksnahen Ko Wen-je bzw. sein “weißes” Lager setzten.
So wird der neue Präsident Lai in den kommenden Jahren eine Regierung führen, die sich auf keine parlamentarische Mehrheit stützen kann. Da es in Taiwan weder eine Tradition der Koalitionsbildung oder geduldeter Minderheitsregierungen, etwa nach dem Muster der französischen cohabitation, gibt, droht nun eine politische Paralyse – wie schon zwischen 2000 und 2008, als der damalige Präsident Chen Shui-bian mit einer absoluten Mehrheit der KMT im Legislativ-Yuan fertigwerden musste. Angesichts von nunmehr drei Parteien im Legislativ-Yuan stellt sich die Situation in den kommenden vier Jahren allerdings etwas anders dar.
Was ist vom Ausgang dieser nationalen Wahlen für die taiwanische Außen- bzw. Chinapolitik sowie in innenpolitischer Hinsicht zu erwarten? Mit Blick auf Peking dürfte es sicherlich keine Entspannung geben, aber auch keine wesentliche Verschlechterung der bilateralen Beziehungen. Die chinesische Taiwanpolitik hat sich spätestens mit der Rede von Xi Jinping im Januar 2019 von der innertaiwanischen Dynamik abgekoppelt und kreist in ihrem eigenen Orbit. Damals verengte Xi die Zukunft Taiwans auf die Formel “ein Land, zwei Systeme” nach Maßgabe des Hongkonger Modells und verneinte damit implizit die taiwanische Interpretation des “Konsensus von 1992” – also jenes Formelkompromisses, der für die KMT weiterhin die Grundlage für Verhandlungen zwischen Peking und Taipei sein soll: Bei Seiten bekennen sich zur Zugehörigkeit Taiwans zu einem einzigen “China”, akzeptieren aber die Tatsache unterschiedlicher Vorstellungen davon, welcher Staat dieses “China” repräsentiert.
Für Xi Jinping steht die Inkorporierung Taiwans in die chinesische Volksrepublik nicht infrage, sondern nur der Vollzugszeitpunkt; und er suggeriert, dass dieser nicht mehr weit in der Zukunft liege. Ob in Taiwan ein DFP- oder KMT-Politiker im Präsidentenpalast sitzt, ist deshalb weitgehend irrelevant. Diesen Tatbestand ignorierte die KMT in ihrem Wahlkampf wissentlich und versuchte die taiwanische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie es trotzdem erreichen könne, mit Peking zu reden und damit Spannungen abzubauen. Vielleicht – aber so wird es nun nicht kommen. Der chinesische Staatsrat veröffentlichte noch am Wahlabend ein kurzes Statement mit der realitätsverweigernden Botschaft, dass auch diese Wahlen nichts am Lauf der Geschichte und am Willen der taiwanischen Bevölkerung ändern könnten, dass Taiwan nach zu China zurückkehren werde – ein Statement ohne Überraschungen, aber auch ohne besondere Schärfe.
Die Dynamik der sino-taiwanischen Beziehungen wird ohnehin kaum mehr durch die innertaiwanischen Geschehnisse bestimmt, sondern durch das Verhältnis zwischen Washington bzw. dem “Westen” und Peking. Die Präsidentschaftswahl auf der Insel insofern als “nationale Schicksalswahl” darzustellen, ein Gemeinplatz in der internationalen Medienlandschaft der vergangenen Wochen, ging insofern an der Realität vorbei. Wenn es für Taiwan überhaupt eine “Schicksalswahl” gibt, dann wird es die Präsidentschaftswahl in den USA im kommenden November sein.
Der interessanteste Aspekt dieser Wahlen liegt in der zukünftigen Arbeit im Parlament: Wie wird der neue Präsident die KMT und TPP ansprechen, um seine Gesetzesinitiativen durchzubringen? Wie wird sich die TPP verhalten? Wird sie die Rolle eines “flexiblen Mehrheitsbeschaffers” spielen oder sich aber auf die Duldung einer DFP-Minderheitsregierung einlassen? Werden KMT und DFP versuchen, in Sachfragen zu kooperieren – und damit der TPP eben nicht die Rolle eines “Züngleins an der Waage” überlassen? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt einiges für die Zukunft der taiwanischen Demokratie und des politischen Systems ab.
Dieses System ist inzwischen in einer ritualisierten, pseudo-ideologischen Gegnerschaft zwischen KMT und DFP erstarrt und verhindert einen substanziellen politischen Diskurs über Lösungsansätze für Probleme, die die Bevölkerung unmittelbar interessieren – v.a. in der Wirtschafts-, Wohnungs- und Energiepolitik. Ohne Ausbildung eines klaren sachpolitischen Profils werden die etablierten Parteien vor allem die Jugend zunehmend verlieren und damit der Gefahr populistischer Strömungen zuarbeiten, die man durchaus auch in Taiwan erkennen kann.
Die nächsten vier Jahre werden also spannend. In jedem Fall hat Taiwan einmal mehr die Vitalität seiner Demokratie bewiesen und die Entschiedenheit, sich durch chinesischen Druck nicht vom eigenen Weg abbringen zu lassen. Es kommt weiterhin vor allem auf die Machthaber in Peking an, ob sich die Lage in der Taiwanstraße weiter zuspitzt oder der Konflikt zumindest “eingefroren” werden kann.
Gunter Schubert ist Professor für Greater China Studies Asien-Orient-Institut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und leitet das European Research Center on Contemporary Taiwan (ERCCT), einer zentralen Einrichtung der Universität
Apollo Luo ist seit Dezember China Sales Director bei der Basler AG. Luo hat langjährige Erfahrung als Country Manager in China. Für das Unternehmen aus Ahrensburg übersieht er den Markt digitale Industriekameras und andere Anwendungen des maschinellen Sehens.
Silvia Ding ist seit Januar Managing Director bei Maersk Greater China. Ding ist seit mehr als 24 Jahren für das dänische Logistik-Unternehmen in China und Europa tätig. Für ihren neuen Posten wechselt sie nach sieben Jahren in Kopenhagen nach Shanghai.
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Sie denken bei Bürsten vor allem an Zahn-, Haar- und Schuhbürsten? Oder an allerlei andere borstige Instrumentarien, die für Glanz und Glätte in ihrer Umgebung sorgen? Dann könnte ein Blick in den chinesischen Alltagsjargon Ihre metaphorischen Verzahnungen noch einmal ordentlich durchbürsten. Denn beim Surfen am Smartphone trifft man in China gelegentlich auch auf “Bildschirmbürsten”. Sauberkeitsfanatiker sollten jetzt nicht überstürzt in Ekstase geraten. Denn die gemeinten Screen-Schrubber bürsten erstens nur virtuell und gehen zweitens ihren Mitmenschen meist ordentlich auf den Schrubber.
Den “Bildschirm durchbürsten” (刷屏 shuāpíng von 刷 shuā “bürsten” und 屏 píng oder 屏幕 píngmù “Bildschirm, Monitor, Leinwand”, auf Deutsch “den Screen zupflastern”) bezeichnet im Mandarin die Rowdy-Marotte, in der virtuellen Welt in kurzer Zeit Unmengen (und zudem meist redundanten) Posting-Ballast auf dem Screen der Mitmenschen abzuladen.
Kleiner Selbsttest gefällig? Los geht’s: Sie können im Urlaub nicht an sich halten und stellen alle paar Minuten eine neue Foto-Nuance des Sonnenuntergangs in Ihren Status? Sie sind stolzer Startup-Gründer und setzen täglich über all Ihre Social-Media-Kanäle Werbeposts ab, um auf Ihre neuesten Coups aufmerksam zu machen? Sie lassen Ihrem Gefühls- und Gedankenstrom gern hemmungslos freien Lauf und ergießen ihn in Form von ellenlangen Textnachrichten in fremden Chatfenstern, sodass ihr Kontakt ewig scrollen muss, bis er zum Ende der Message gelangt? Oder – Worst Case: Sie betreiben einen Onlineshop und pflastern den lieben langen Tag die WeChat-Moments oder Facebook-Timelines Ihrer privaten Kontakte mit Angeboten und Schnäppchen zu, sodass alle anderen Statusmeldungen im Warenmeer untergehen? Sie haben mindestens eine dieser Fragen mit “ja” beantwortet? Dann herzlichen Glückwunsch! Aus chinesischer Sicht sind Sie eine echte Bildschirmbürste.
Wer die chinesische Alltagssprache aufmerksam durchkämmt, wird außerdem feststellen, dass hier neben Zähnen (刷牙 shuāyá), Schuhen (刷鞋 shuāxié), Böden (刷地板 shuā dìbǎn) und Töpfen und Pfannen (刷锅 shuāguō) noch so einiges anderes gebürstet und geschrubbt wird, mit dem man nicht gerechnet hätte. Zum Beispiel beim Einsatz von Bankkarten (刷卡 shuākǎ / 刷信用卡 shuā xìnyòngkǎ – “mit Karte / Kreditkarte bezahlen”, oder auch “eine Karte / Kreditkarte durchziehen / über den Scanner ziehen”). Ein anderes Bürstenbeispiel: Gesichter beim Face-Scan (刷脸 shuāliǎn – “das Gesicht scannen”, wörtlich “das Gesicht bürsten”), etwa beim kontaktlosen Bezahlen (刷脸支付 shuāliǎn zhīfù – “per Face-Scan bezahlen”). Fans der Kartenzahlung nennt man in China übrigens liebevoll 刷卡族 shuākǎzú – “Kartenbürstvölkchen”.
Zieht Sie dagegen ein Kreditkartenbetrüger über den Tisch und fegt Ihnen heimlich das Konto leer, wurden Sie “geraubbürstet”, wie der Chinese sagen würde (盗刷信用卡 dàoshuā xìnyòngkǎ – “Kreditkartenbetrug betreiben / eine fremde Kreditkarte betrügerisch zur Zahlung verwenden”). Übertreiben Sie es hingegen selbst mit der Kaufwut, laufen Sie Gefahr, Ihr Kreditkartenlimit wund- oder gar “zur Explosion” zu scheuern (刷爆信用卡 shuābào xìnyòngkǎ – “das Kreditkartenlimit sprengen”). Langfristig stürzen Sie sich damit wohl in den Ruin. Kurzfristig aber dürften Sie sich so zum heißen Konsumfeger stilisieren, sprich ordentlich Aufmerksamkeit auf sich bürsten (auf Chinesisch: 刷存在感 shuā cúnzàigǎn – “sich wichtigmachen / nach Aufmerksamkeit heischen”).
Deutlich sparsamer ist es da, einfach den ganzen Tag das Handy zu bürsten (刷手机 shuā shǒujī – “auf dem Handy swipen / herumscrollen; am Handy hängen”). Zum Beispiel, indem Sie sich von einem Kurzvideo zum nächsten schrubben (刷短视频 shuā duǎnshìpín – “sich Kurzvideos reinziehen”) oder sich am laufenden Band Serien reinbürsten (刷剧 shuājù – “sich pausenlos TV- oder Streaming-Serien reinziehen”, auf Neudeutsch auch “binge-watching”).
Sollte man Ihnen derweil in China mit Fingerzeig auf Ihre Hände mitteilen, Sie hätten da aber “zwei Bürsten”, fühlen Sie sich bitte nicht auf den Schlips getreten! Man hat Ihnen nämlich gerade das Ego gestriegelt. Zwei Bürsten zu haben (有两把刷子 yǒu liǎng bǎ shuāzi) will nicht etwa heißen, man habe zwei linke Hände. Im Gegenteil. Es ist im Chinesischen ein Synonym für handwerkliches Geschick.
Beispiel: 他自己会修车, 真有两把刷子。 Tā zìjǐ huì xiūchē, zhēn yǒu liǎng bǎ shuāzi. – “Er kann selbst Autos reparieren. Er ist wirklich handwerklich begabt.”
Ein Exempel, das uns einmal mehr daran erinnert, dass wir unser Vokabular für idiomatische Interaktionen weiter rausputzen sollten. Denn chinesische und deutsche Bildsprache lässt sich längst nicht immer über einen Kamm scheren. So viel steht fest.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.